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Erstes Buch.

Die

altdeutsche Nationalliteratur.

I.

Die Zeit vor Karln dem Großen.

S. 10.

Aelteste Zustände.

Von der frühesten deutschen Poesie bis auf Karls des Großen Zeiten hat sich sehr wenig erhalten; die ältesten uns überlieferten Denkmäler der Sprache sind einzelne Nahmen, Wörterbücher und Formeln, dann Uebersehungen der Bibel. und theologis scher Schriften. Aus Tacitus Bericht in seiner Germania wissen wir freilich, daß schon in den ältesten Zeiten Lieder vorhanden waren, welche besonders die Stammhelden verherrlichten; und spätere Chronisten und Geschichtschreiber bezeugen dasselbe; eine Sache, die übrigens bei einem so gesanglustigen Volke, als das deutsche von jeher gewesen, nicht zu bezweifeln steht. Von einer eigentlichen Nationalliteratur jedoch kann vor dem zwölften Jahrhunderte nicht die Rede seyn, wenigstens nicht in dem Sinne, den wir jetzt mit diesem Worte verbinden. Bei uns ist die Litera tur das gemeinsame, vereinigende Band aller einzelnen Stämme und wird von einer Gesammtsprache getragen, in der alle MundartenGöhinger Lit.

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aufgehen; umgekehrt lebte bei unsern Vorfahren die Poeste nur in einzelnen Stämmen, war für einzelne Stämme berechnet, hatte überhaupt einen ganz andern Sinn und Zweck als später, indem sie vorzugsweise dazu diente, allen öffentlichen Versammlungen und Anlässen etwas Feierliches zu geben, so daß also Opfermahle, Gerichte, Volksversammlungen, Kämpfe und ähn liche Ereignisse und Zeitabschnitte durch Dichtung begleitet waren, d. h. durch rhythmisch gemessene Formeln oder abgesungene Loblieder der Helden und Götter. Aufgeschrieben wurden diese Poesieen nicht, auch später nicht, als die Schreibkunst bekannt war; denn was wir aus dem neunten, zehnten und elften Jahrhundert besißen, gehört ohne Ausnahme der Gelehrsamkeit an, während uns von eigentlich nationaler, öffentlicher Poesie gar nichts aus diesen Zeiten überliefert worden ist, obgleich sie vor. handen war.

Einen eignen Sänger- oder Dichterstand, wie ihn die Skandinavier und Kelten hatten, gab es bei unsern Vorfahren nicht; ein Umstand, den ich deshalb ausdrücklich erwähne, weil man früher viel von den deutschen Barden, von dem Bardenzeitalter sprach und noch jezt manche von solchen Verhältnissen reden, die besonders in vaterländischen Träumen Klopstocks ihren Ursprung hatten. Die Dichtkunst war bei den Deutschen immer eine freie Kunst, die jeder üben durfte, der hinreichende Gelehrsamkeit und Geschick zur Fertigung von Gesängen besaß. Ich sage mit Fleiß Gelehrsamkeit; denn wie ich schon in der Einleitung S. 37. bemerkte, waren die ersten Dichter auch die ersten Gelehrten und Weltweisen, und aus den uns übergebliebenen skandinavischen und angelsächsischen Dichtungen sehen wir es hinlänglich, wie damals die Dichter als Mittelpunkt aller Wissenschaft galten. Diese Wissenschaft hieng freilich mit Glaube, Recht, Geschichte und Volkssitte noch so zusammen, daß sie kei. neswegs so störend in das poetische Schaffen eingriff, wie dies bei unserer Gelehrsamkeit der Fall sein würde, die ganz und gar getrennt von unserm Leben und natürlichen Daseyn ist. Man würde also irren, wenn man die Sänger bei unsern Vorfahren mit unsern Gelehrten zusammenhalten wollte; eben so irrig oder noch irriger aber wäre eine Vergleichung der ältern Sänger mit

unsern Naturdichtern, die sich garade dadurch auszeichnen, daß sie unter oder außerhalb der Bildung ihrer Zeit stehen. Das Verfertigen von Gesängen war überhaupt in älterer Zeit jedenfalls schwieriger als bei uns; denn abgesehen davon, daß die Lieder stets gesungen wurden, so war schon tie metrische Form der Art, daß ihre Handhabung gelernt werden mußte; gewisse stehende Formeln und Umschreibungen waren hergebracht und durch das Ansehen geheiligt; eine Lyrik, wie sie unsere Zeit im Nebermaße hervorbringt, hätte unsern Vorfahren gar nicht für Poesie gegolten. Ist ein Vergleich der alten Poesie mit der jezt bestehenden erlaubt, so kann er vorzugsweise vom Kirchenllede ausgehen; auch bei diesem kömmt es nicht auf bloße poetische Anlage an, sondern auf genaue Kenntnis des christlichen Glaubens und Lebens, auf eine Sprache, die sich innerhalb bestimmter Kreise hält und auf der Bibel fußt, endlich auf Kennt nis der gangbaren Metra und der Musik. Daß wir eine Menge Kirchenlieder haben, worin alle diese Voraussetzungen sich nicht finden, ist ganz richtig; es sind aber nicht die ächten. Auch das gilt vom Kirchenliede, wie von der ältesten Poesie, daß es nur zu voller Geltung gelangt durch seinen öffentlichen Gebrauch; ein Kirchenlied, das nicht mehr gesungen wird, hat kein lebendiges Daseyn mehr, und hielten nicht alte Drucke eine Menge derselben fest, so würden sie längst verloren gegangen seyn.

Daß uns keine Gefänge aus den Zeiten vor der Völker. wanderung erhalten sind, und auch spätere Dichtungen nie die ersten Kämpfe der Deutschen mit den Römern berühren, darf uns nicht wundern. Diese außerordentliche Begebenheit riß alle Stämme so auseinander, daß nothwendig sich auch die Sprache ändern mußte, so daß die alte Poesie unverständlich wurde und schon vergessen war, als die Schreibkunst in Gang kam. Wichtiger ist aber noch ein anderer Umstand. Die Völkerwanderung untergrub nothwendig den eigentlichen Grund und Boden, worauf alle ächte, nationale Poesie erwächst. Denn diese ist eng verbunden mit Dertlichkeiten, mit heimathlichen Erinnerungen; . sie knüpft die Gegenwart an die Vergangenheit und diese an jene; sie feiert den lebenden Helden, indem sie dessen Vorfahren. besingt, und verherrlicht die ältern Helden angesichts der Nach

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kommen derselben. Denn man vergesse ja nicht, daß alle urs sprüngliche Poesie nicht nur Stammpoesie, sondern geradezu Poesie bestimmter Geschlechter und Familien ist oder die Götter chrt; der Dichter verschwindet bei solchen Zuständen völlig hinter seiner Dichtung, er denkt nicht daran, Ruhm bei der Nation zu erwerben ein Begriff, der überhaupt früher unbekannt war; es ist genug, wenn er dem genugthut, zu dessen Vers herrlichung er singt, oder wenn seine unmittelbaren Zuhörer ihm Aufmerksamkeit, Beifall, Lohn schenken. Man trage nicht moderne Begriffe über auf die Urzeiten, man muthe unseren ältesten Vorfahren nicht zu, daß sie ein rein poetisches oder künstlerisches Interesse für ihre Dichtungen hätten haben sollen, so daß sich die Poesie durch ihre Vortrefflichkeit oder wenigstens ihr Ansehen selbst fortgepflanzt hätte. Alles Interesse knüpfte sich hier an die Wichtigkeit des Stoffes, an die religiösen und Stammerinnerungen; die Form war nur das Mittel, den Stoff für das Ge dächtnis aufzubewahren und singbar zu machen, oder durch die feierlichere Einkleidung auch die Wirkung feierlicher zu machen. Wie der Dichter hinter seiner Dichtung verschwand, sein Nahme gar nicht genannt wurde, so fiel es ihm auch nicht ein, in der Art, wie unsere jezigen Dichter, eine besondere Gesinnung, eine eigenthümliche Betrachtung der Dinge geltend zu machen, wie dies 3. B. im Mittelalter durchaus der Fall war. Die früheste Dich tung ist überall durch und durch objektiv, nicht in dem Sinne etwa, wie man unsern Göthe objektiv nennt, sondern im wahren nationalen Sinn. Objektiv ist eine Dichtung aber, wenn sie durchaus nicht von dem Kreise des allgemeinen Denkens, Em. pfindens und Anschauens sich losreißt; cine solche Beschränkung ist aber nicht willkührlich und bewußtvoll, sondern geht überhaupt daraus hervor, daß eine ganze Masse Menschen die gleichen Ansichten von den wichtigsten Dingen der Menschheit hegt, so daß der Dichter weiter nichts ist als der Dolmetsch der andern. Wird nun aber bei einem Volke die Erfahrung, die Weltansicht, der Kreis der Beobachtungen ein ganz anderer, so ergiebt sich von selbst, daß die frühere objektive Dichtung ihr Interesse vers liert, indem sie nicht mehr Dolmetscherin dessen seyn kann, was die Hörer jeht wissen, denken, glauben, und daß sie erst dann

wieder Interesse gewinnt, wenn uneigennütziges Interesse an der Poesie erwacht. Eine solche Umänderung mußte aber die Völkerwanderung hervorbringen. Gesänge, die sich an die alte Heimath, an einen bestimmten Grund und Boten knüpften, verloren ihr Verständnis und ihr Interesse, wenn diese Heimath den später Geborenen ganz unbekannt war, und Lieder, worin Helden gefeiert, Begebenheiten erzählt wurden, geriethen in Vergessenheit, da ja ganze Stämme untergiengen, neue Geschlechter emporkamen, neue Völkerbündnisse eingegangen wurden, und je denfalls ganz neue Bestrebungen und Erinnerungen das Aeltere verdrängten. Auch dieses Verhältnis kann man recht gut mit dem unserer Kirchenlieder vergleichen. Unser protestantisches Volk kennt nächst der Bibel nichts so gut als die ältern geistli chen Lieder, keineswegs ihrer hohen, poetischen Vortrefflichkeit wegen, die oft gar nicht vorhanden ist, sondern weil sich christlicher Glaube, hundertjährige Erinnerungen, protestantisches Be wußtseyn daran knüpft. Kennt es aber die katholischen Kirchengefänge? Nicht einen einzigen, und doch hat auch die katholische Kirche sehr schöne deutsche Gesänge. Selbst Albert Knapp, der doch Literarhistoriker in diesem Fache ist, scheint zu glauben, die katholische Kirche habe gar keine Poesie dieser Art *). Dem Volke ist es natürlich, Sachen ganz zu ignorieren, die mit seis nem Glauben, seinen Ansichten in geradem Widerspruch stehen; denn welches Interesse sollte es an Frohnleichnamsgesän gen, an Marienliedern und ähnlichen haben? Selbst der gebildete Protestant, sofern er eifriger Protestant ist, wird den Werth dieser Lieder nicht schäßen, weil ihn der Inhalt kalt läßt, oder gar zuwider ist.

Wenn die Jahrhunderte der Völkerwanderung den frühern pvetischen Stoff vernichteten, und somit die ältere Poesie in Vergessenheit brachten, so erzeugten sie freilich dafür neuen und mannigfaltigen; allein wie schwer war dieser zu bewältigen ! Man nehme aus den frühern Zeiten die Schlacht im Teutoburger Walde, überhaupt den ganzen Kampf Armins mit den Römern. Tacitus erwähnt ausdrücklich, daß die Germanen diesen

*) Siehe die Vorrede zu bessen evangelischem Liederschaß. S. V.

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