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die trefflich nachgeahmte Geniesprache machen das Buch jezt noch sehr anziehend. Auch seine Volksmährchen (1782-1786) müssen von dem Standpunkt der Ironie aus beurtheilt werden. Sie lehnten sich gerade so an Nicolai's feinen Almanach an, wie die physiognomischen Reisen an den Sebaldus Nothanker; sie wollten den Ritterschauspielen einen Zwick geben und zugleich dem langweiligen Adagio der Empfindsamkeit ein heiteres Spiel der Einbildungskraft entgegensehen. Das Mittelalter wurde hier auf eine drollige, spießbürgerliche Weise dargestellt und der parodischen Erzählung eine Menge Seitens hiebe gegen die Erscheinungen der Gegenwart eingewoben. Woher übrigens Musäus seinen großen Vorrath an wirklich alten, treffs lichen Worten und Ausdrücken hat, ist unerklärlich.

Sebaldus Nothanker und die physiognomischen Reisen gaben nun das Zeichen zu einer ganzen Flut sogenannter Romane, welche einzelne Uebertreibungen der Zeit oder alle insgesammt lächerlich machen wollten: eine Literatur, die ganz und gar die frühern Lehrgedichte und komischen Epopöen verdrängte und im Ganzen so werthlos war wie jene. Es machte sich hier der nüchterne Verstand breit gegen Gefühl und Genie und gerieth oft auf viel größere Abwege. Die bedeutendsten Nahmen unter der großen Menge find: Adolf Franz Freiherr v. Knigge (1752—1796) und Johann Gottwerth Müller von Ihehoe (1744-1828). Ersterer lehnte sich mehr an Nicolai. Neben seinen Romanen hat besonders sein Buch: Ueber den Umgang mit Menschen" ihn bekannt gemacht, ein Werk, das sich gegen die allerdings bedenkliche Moral des bloßen Gefühls auflehnt, dafür aber eine hassenswerthe Politik des Verstandes als Moral verkauft. Gottwerth Müller wurde besonders durch seinen Siegfried von Lindenberg bekannt, ein Buch von guter Anlage, aber höchst erbärmlicher Ausführung. Bei den meisten dieser Schriftsteller, zu denen sich wieder Wezel gesellte, finden wir der überspannten Empfindsamkeit eine nüchterne Empfindungslosigkeit gegenübergestellt, und alle gehen bloß verneinend zu Werke, anstatt wirkliche Kunstwerke dem Herumtappen ter neuen Genies, wie es Lessing und zum Theil Wieland thaten, entgegen= zustellen. Das Merkwürdigste war aber, daß sie den Hauptgrund

saß der Geniemänner, ihr Naturell als den höchsten Gesetzgeber anzuerkennen, auch befolgten. Der Gang, den diese Schriftsteller nahmen, ist überhaupt nicht der eines poetischen Talents, sondern eines reflektierenden Beobachters. Das wahre Talent wird sich zuerst eine Handlung bilden, den einzelnen Charakteren so viel Spielraum geben, als zur Vollendung der Handlung nöthig ist, und sie nur im Geiste ihres Charakters denken und sprechen lassen. Diese Romanschriftsteller trieben es aber umgekehrt. Sie sammelten zuerst eine Menge Gedanken, Reflexionen und Ansichten, sahen sich dann nach Leuten um, denen sie dieselben in den Mund legen könnten, und knüpften endlich alles an den Faden einiger lose zusammenhangenden Ereignisse. Natürlich mußte nun die Handlung höchst dürftig erscheinon, das Beifenes ment desto breiter, und die Charakterschilderung ohne allen Zusammenhang mit der Handlung.

In die Reihe dieser Schriftsteller gehört auch Theodor Hippel (1741 — 1796) in Königsberg, der jedoch nicht mit Nicolai und Musäus zusammenhängt, sondern mit Hamann und Claudius. Seine „Lebensläufe in aufsteigender Linie" (1778-1781) sind eine Aufspeicherung von Meinungen und Ansichten, die er hatte und nicht hatte (denn er benußte seine Umgebungen, nahmentlich Kant), und gab Charaktere und Ereignisse ohne allen innern Zusammenhang, jedoch mit bedeutender Kraft der Vergegenwärtigung im Einzelnen. Den Richtungen der Literatur, die er eigentlich gar nicht kannte, wollte er sich nicht gegenüberstellen, sondern ihnen vielmehr folgen und täuschte so manche durch einen Schein von Geistesüberlegenheit, die er gar nicht besaß.

Die ganze Reihe aber schloß derjenige, der allen vors angegangen war, Thümmel, und er, der das beste komische Heldengedicht geliefert, schrieb auch den bedeutendsten Roman der neuen Gattung. Im Jahre 1791 trat er plöhlich mit seiner Reise ins südliche Frankreich hervor, deren Vollendung mit dem zehnten Theile sich bis ins Jahr 1805 verzog. Das Buch gehört aber seiner ganzen Form und Art nach der frühern Zeit an; schon die Manier, Prosa und Verse abwechseln zu lassen, war gar nicht mehr Sitte im nennzehnten Jahrhundert. Diese

Manier, poetischen und prosaischen Ausdruck zu mischen, an sich geschmacklos, hielt Thümmel hartnäckig fest. In der Wilhelmine hatte er poetische Prosa gegeben, und zwar die beste, die es geben kann; in den Reisen wechselte er zwischen Prosa und Bersen und zwar auf die eigenthümlichste Weise. Ueber dieses merkwürdige Buch sind die allerverschiedensten Urtheile ge= fällt worden; denn während nüchterne Leute, wie Lichtenberg, es als das glänzendste Erzeugnis deutschen Geistes ansahen, und dabei die vortreffliche Behandlung der Sprache und des Verses, so wie den Inhalt voll reicher Menschenkenntnis und die lebendige Vergegenwärtigung in der Erzählung vor Augen hatten: während dessen sahen Beurtheiler wie Schiller und die Romantifer eine der verächtlichsten, verwerflichsten und schlechtesten Misgeburten darin. Es läßt sa yter schwerlich ein bloß ästhetischer Maßstab anlegen; so viel ist gewiß, daß es kein anderes Buch giebt, worin die Eigenthümlichkeiten des achtzehnten Jahrhunderts in so manigfaltiger und schlagender Darstellung an uns vorübergehen, als Thümmels Reise. Die Lehren von Natur, Empfindung und Genie in ihrem grellen Gegensahe zu Einsicht, Verstand und Ueberzeugung liegen zu Grunde; der Held selbst geht durch alle Stimmungen der Zeit durch als Kranker; er ist erst Menschenfeind, dann ausschweifender Genußmensch, und sucht sich zuleht auf einen höhern Standpunkt zu stellen, wo Natur und Vernunft sich begegnen. Die Erscheinungen des Wunderglaubens, der Physiognomik, des Erziehungseifers, des Jesuitismus, der Empfindsamkeit, des genialen Uebermuthes alles tritt lebendig vor die Augen. Selbst in Ton und Behandlung der Sprache begegnen uns die verschiedenen Versuche der Zeit: Lavaters Decla= mation, Wielands Redseligkeit, Göthe's Klarheit; ferner gereimte und reimlose Verse, Hexameter und Knittelreime, Vossens strenge Metrik und die Willkühr der Obersachsen, alles mit großem Talent ausgeführt, aber auch mit großem Ungeschmack, wie es ebenfalls die Zeit mit sich brachte. Die üppigen Schilderungen des Nackten, Verführerischen, Wollüstigen haben dem Buche vorzüglich bösen Ruf gemacht. Man könnte freilich den Verfasser damit entschuldigen, daß auch diese literarische Liebhaberei hierher gehöre, um den Charakter der Zeit wieder zu geben;

allein Thümmel ergieng sich wie Wieland offenbar mit Lust in zweideutigen Schilderungen, und wenn er wie dieser sich durch die Hinweisung auf ein makelloses Leben rein waschen und die üppigen Schilderungen wollüftiger Scenen durch moralische Zwecke rechtfertigen wollte, so lag hierin ein ungeheurer Irrthum, der schon früher besprochen worden ist.

§. 126. Lichtenberg.

Der unbedingteste Verehrer der Muse Thümmels, dagegen früher der erbittertste Gegner der durch Herder, Lavater, Göthe und die Göttinger angebahnten Richtung war Georg Christoph Lichtenberg (geb. 1742 im Darmstädtischen, gest. 1799 als Professor in Göttingen). Dieser bedeutende Mann, beschäftigt mit Mathematik und Naturwissenschaft von Amtswegen, daneben inniger Theilnehmer an allen Richtungen der Poefte und Wissenschaft, nimmt in der deutschen Literatur eine ähnliche Stellung ein wie Justus Möser. Suchte dieser in anziehend geschrie. benen und populär gehaltenen Auffäßen über geschichtliche Zu: stände seine Zeitgenossen aufzuklären, so that Lichtenberg dasselbe in Bezug auf Natur- und Völkerkunde. Wie aber Mösers öffentliche Thätigkeit als Beamter und als Schriftsteller ihn stets zum Vaterländischen hinführte, so daß auch seine Beschäftigung mit der Geschichte durchaus in den Grenzen der Heimath blieb : so betrachtete er auch die Literatur immer von deutscher Seite und schäßte das kunstlofe Heimische, weil es heimisch war, höher als jede Kunst, die nur aus Nachahmung des Auslandes hers vorgieng. Ganz anders Lichtenberg. Beschäftigung mit Mathematik und Natur hat an sich wenig Bezug zu vaterländischen Interessen, und so schäßte er auch in Poesie und Wissenschaft die patriotische Richtung als solche gar nicht; während der alte Möser als Vertheidiger der jungen Literaten auftrat, deren Auswüchse er gar nicht verkannte, sah Lichtenberg überall nur Uebertreibung und Unnatur und zog mit allen Waffen des Spottes gegen sie zu Felde. Ihn reizten allerdings unangenehme Erscheinungen in seiner Nähe; erstens der Uebermuth der jungen Göttinger und die Lobhudeleien Klopstocks, dann das Unwesen

der Physiognomik, das durch Zimmermanns Vorschub unter dem hannöverischen Adel alle Köpfe verdrehte. Gegen Lavaters religiöse Zudringlichkeit trat er in seinem Limorus auf, gegen den Physiognomiker in seiner Schrift über Phystonomik, die im Göttinger Taschenkalender von 1778 erschien. Diesen Kalender, deffen Besorgung er übernahm, kann man als prosaischen Gegensah zu den Musenalmanachen ansehen; denn während lehtere nur Gedichte und Musik enthielten, brachte der Kalender nur prosaische Auffähe und Kupfer. Die spätern Taschenbücher, welche W. G. Becker (S. 668) aufbrachte, können mithin als eine Verknüpfung des Kalenders und der Musenalmanache angesehen werden, da ste Prosa und Kupfer, Poesie und Mustk gaben. In jenem Taschenkalender nun erschienen Lichtenbergs vortreffliche Aufsähe über Natur- und Völkerkunde; hier aber auch eine Menge satyrischer Auffäße gegen die neue Literatur; hier endlich feine wißigen Deutungen von Hogarths Kupferstichen, welche er später erweiterte und als eigenes Werk herausgab. Im Jahre 1779 verband er sich mit Georg Forster zur Herausgabe des Magazins der Wissenschaften und Literatur, das von 1780-1785 dauerte und von seiner Seite ähnliche Beiträge erhielt wie der Kalender. Der Plan eines komischen Romans, mit dem er sich lange herumtrug, ist nie zur Wirklichkeit ge= worden, und so sehen wir denn auch in Lichtenberg nur einen fragmentarischen Schriftsteller, der zu vielem ansehte und nichts vollendete.

Seine klare, beredte und geschmeidige Sprache erinnert an Lessing, und wie dieser, weiß er durch die Behandlung jeden Gegenstand genießbar zu machen. Er hatte nicht nur einen unerschöpflichen Reichthum von Witz, sondern es stand ihm auch eine ganze Welt von Wissen und Verhältnissen zu Gebote, die er nur wie Karten zu mischen und schalkhaft auszuspielen brauchte. Die ganze Art seiner Schriftstellerei und seine raschen, scharfen Blicke in die Mängel der Literatur stellen ihn neben Hamann, dessen strenger Gegensah er aber durch Styl, Weltansicht und Geschmacksrichtung ist.

Das Hauptziel seines Unwillens war und blieb Lavater, von welchem er den sonderbaren Zustand der Literatur in den siebziger

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