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strebenden das protestantische Deutschland gehoben hatten *); allein andere Gelehrte und Vornehme von Adel traten ganz in die stürmisch - patriotische Richtung ein voll Freiheitsdrang und Tyrannenhaß. Die Trauerspiele des Grafen Joseph August von Törring (Agnes Bernauerin — Kaspar der Torringer) machten zu ihrer Zeit das größte Aufsehen; sowie später (1782) Franz Maria Babo sich nur durch seinen Otto von Wittelsbach im Andenken erhielt.

Anders verhielt es sich in Wien und in Oesterreich überhaupt. Hier war das Volksschauspiel und nahmentlich der Hanswurst nie ausgegangen, und während sich die Bekenner der Natürlichkeit im übrigen Deutschland der Gottsched’schen und französischen Regelmäßigkeit widersetzten, gieng man in Wien damit um, sie erst einzuführen, ein Verfahren, das bei der Lage der Sachen gewiß verständig war, wozu aber alle Bedingungen und vor allem die rechten Männer fehlten. Der damals berühmte Sonnenfels spielte hier die Rolle eines Lessing mit dem besten Willen, aber ohne die Größe seines Vorbildes zu be sihen; zwei Freiherren, Cornelius von Ayrenhoff und Philipp von Gebler, suchten auf dem Theater das Bühnengerechte und Schickliche zu bewahren, und so bildete sich schon damals der Zustand in Wien, der jezt noch besteht, daß man zweierlei Bühnen aufstellte, eine vornehme höfische, und eine gemeine plebejische. Das Durchbrechen aller Schranken mußte fich also in andern Gattungen zeigen, und hier vertritt denn der Erjesuit Aloys Blumauer mit seiner travestierten Aeneis und seinen burlesken und cynischen Gedichten die Zeitrichtung. Blumauer war aber eigentlich von den Göttinger Dichtern, nahmentlich von Bürger, geweckt worden, und es ist Zeit, daß wir uns wieder nach Norddeutschland wenden.

*) Als Frohnhofer, der übrigens selbst dramatischer Schriftsteller war, feine Bestrebungen vereitelt sah, schrieb er 1779 seine Rede: „Teutsch: lands belletriftisches goldenes Jahrhundert ist, wenn's so fort geht, so gut als vorbei.“

§. 112.

Der Göttinger Dichterbund.

Im Jahre 1763 war Heinrich Christian Boie (1744 -1806) aus Meldorp im Holsteinischen nach Göttingen gekommen und verweilte daselbst, später als Hofmeister einiger jungen Engländer, bis 1775. Er war ein Freund und Kenner der Poesie ohne besondere vorherrschende Neigungen, mit feinem kritischem Gefühl begabt. Dieser vereinigte sich mit Friedrich Wilhelm Gotter von Gotha, einem feingebildeten Manne voll französischer Glätte, zur Herausgabe eines Musenalmanachs, im Sinne des französischen Almanac des muses, d. h. einer Sammlung beliebter Gedichte verschiedener Verfasser aus der neuesten Zeit. Es war dabei nicht auf lauter neue, noch nie gedruckte Gedichte abgesehen, sondern mehr auf eine Lese der leztverflossenen Jahre, eigentlich ganz im Sinn der Neukirchschen Sammlung, die wir S. 289 erwähnt haben. Zufälligerweise war in dem= selben Jahre der Professor Christian Heinrich Schmid zu Erfurt (später in Gießen), ein damals sehr bekannter Literator, auf denselben Gedanken gerathen und gab zu Leipzig einen Almanach der deutschen Musen heraus. Boie (Gotter trat von der Redaction nach dem ersten Jahrgange zurück) mußte deshalb seinem Unternehmen durch Neuheit und Bedeutsamkeit ein Uebergewicht zu verschaffen suchen, bewarb sich also um die Theilnahme älterer und jüngerer Dichter in Norddeutschland, nahmentlich in Hamburg, Braunschweig, Halberstadt und in Göttingen selbst. Hier fand sich eigentlich als anerkannter Dichter bloß der wißige Epigrammatiker Abraham Kästner; es studierten aber mehrere junge Leute daselbst, die sich durch Liebe zur Poefte und durch Gelegenheitsgedichte bekannt gemacht hatten, unter ihnen besonders Bürger, Hölty, Martin Miller aus Ulm und Friedrich Hahn; später kam Joh. H. Voß dazu. Diese jungen Leute zog Boie an sich; sie bildeten eine Gesellschaft, ganz ähn= lich dem Leipziger Kreise unter Gärtner; ste theilten sich gegenfeitig ihre dichterischen Erzeugnisse mit und beurtheilten dieselben, alles mit Boie's Beirath. Der Musenalmanach war hier der gemeinsame Mittelpunkt, wie bei jenen Leipzigern die Bremischen

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Beiträge. Eine bestimmte Richtung verfolgte man anfangs durchaus nicht, sondern ließ jeden nach seiner Natur gewähren, die bei Bürger und Hölty zum Drolligen und Burlesken, bei Miller zum Empfindsamen und Schwärmerischen, bei Hahn zum Troßigen und Herausfordernden sich hinneigte. Erst Voß drückte der Ge= nossenschaft ein schärferes Gepräge und stolzere Gedanken auf, drang auch mit seinen Anforderungen des Kräftigen, Gedrungenen und Ernsten durch, und ist wohl überhaupt als der Gründer jener engern Vereinigung zu betrachten, die unter dem Nahmen des Hainbundes oder Göttinger Bundes bekannt wurde. Zweck dieser Vereinigung war: „Religion und Tugend zu verbreiten, „die schmählich darniederliegende deutsche Dichtkunst wieder zu Ehren zu bringen, den verwahrlosten Geschmack und den Leicht„sinn, die Ernst und Gefühl für Großes hinwegtändeln, zu ver„tilgen, das Hochgefühl für Edles, Liebe zur Natur und zum „Vaterlande zu entflammen.« Die Mitglieder versammelten sich wöchentlich, svrachen über Wissenschaft und Kunst, übten sich im Vorlesen und beurtheilten gegenseitig ihre Arbeiten. Der Band ward im Jahre 1772 gestiftet, und bald traten die beiden Grafen Christian und Friedrich Leopold Stolberg, Karl Friedrich Cramer (ein Sohn Andreas Cramers) bei, 1774 Anton Leisewih aus Hannover, noch später Christian Adolf Overbek aus Lübeck, und Anton Matthias Sprickmann aus Münster. Bürger hatte schon vor Schließung des Bundes Göttingen verlassen und nahm an den Verhandlungen derselben keinen unmittelbaren Antheil; als auswärtige Mitglieder aber wurden der Prediger Brückner im Mecklenburgischen aufgenommen und Klopstock. Als Jüngerschaft Klopstocks muß überhaupt der Bund betrachtet werden. Wir haben schon früher gesagt, daß Klopstocks Jugendfreunde nicht in seinen Ton einstimmten, nicht einmal in seine Formen; im Kopenhagener Kreise gab er ebenfalls nicht den Ton an. Sein Messias hatte freilich eine Unmasse epischer Dichter und Hexameteristen hervorgerufen, die aber durchaus keine geschlossene Schule bildeten und deren er sich selbst schämte. Jest sollte nun dem alternden Dichter die Freude werden, eine Schaar feuriger Jünglinge als Verbreiter seiner Poesie, d. h. der Poesie der Empfindung und der Harmonie,

um sich zu sammeln. Um den Messias handelte es sich hier nicht mehr, sondern um die Oden, welche 1771 in völlig ge= reinigter Gestalt erschienen waren, und um die Gesinnung, welche in der Hermannschlacht niedergelegt war. Die Freunde theilten sich gewissermaßen darein, einzelne Elemente der Klopstock'schen Poesie sich anzueignen, so daß einige mehr das Empfindsame, Zärtliche und die Weise der frühern Oden, andere das Starke, Germanische der spätern darzustellen strebten, und in dieser Richtung wurde viel Abentheuerliches gegen Tyrannei und Undeutsch= heit, Pfaffenherrschaft und Sklavensinn gedichtet. Die Ausbildung der poetischen Sprache ließen sich alle ebenfalls angelegen seyn, und zwar nach allen Richtungen hin, so daß sie nicht bloß den rhythmischen Tanz des Verses im Auge hatten, sondern auch die Fülle und Bedeutsamkeit des Reims; nicht bloß Reinheit und Richtigkeit des Ausdrucks, sondern auch Kraft und Nachdruck desselben. Die schwärmerische Liebe zum Naturleben, die wir oben als charakteristisch für diesen Zeitpunkt festsehten, brach sich in dem Göttinger Kreise vorzugsweise Bahn, daher eine besondere Bevorzugung der Naturlyrik und der Idylle.

Als Klopstocks Jünger traten die Göttinger in einen entschiedenen Gegensah zu dem süßlichen, tändelnden Joh. Georg Jacobi und zu Wieland, dessen Gesinnung sie als leichtfertig und undeutsch, dessen Form sie als lose und unkünstlerisch verdammten, dem sie überhaupt alle Poesie absprachen, weil er weder Empfindung besite noch in seiner Sprache harmonisch darstelle; dessen Dichtung nicht Musenkunst sey, sondern eine Tochter der Laune, der Phantasie und der Philosophie. Dagegen näherten sich die Göttinger dem neuen Stern Göthe. An sich war Göthe's Dichtweise der ihrigen völlig entgegengeseht. Denn er wollte sich poetisch die Welt zurechtlegen, wobei ihm die Form gar nichts galt; sie hingegen wollten nühen und wirken durch Gesinnung und durch edle Form, bestimmte Gattungen der Poesle neu begründen oder weiter fördern; Göthe's Gesichtskreis war von Anfang an ein weiter, sein poetischer Blick ein das Nahe und Ferne erfassender, und überall trat er mit Sicherheit auf; das Gebiet, welches die Göttinger mit poetischem Auge übersahen, war und blieb ein sehr enges: beschränktes Daseyn und Leben in

der Natur. Innerhalb dieses Kreises traten sie fest und sicher auf; sobald sie ihn verließen und sich, was leider oft geschah, in Gegenden wagten, wohin die Sehweite ihres Auges nicht reichte, verloren sie sich in Rhetorik und Deklamation. Beide Schulen bekämpften jedoch denselben Gegner, beide machten Wirksamkeit und Natur — obgleich in ganz verschiedenem Sinne - zu ihrem Wahlspruche, und so ergab sich ein freundschaftli= ches Verhältnis, um so mehr da Göz von Berlichingen der patriotischen Richtung der Göttinger zusagte, Werther der empfindsamen. Der Musenalmanach gab einen gemeinsamen Mittelpunkt ab, und Göthe's schönste lyrische Dichtungen der frühern Zeit erschienen daselbst. Zu den Grafen Stolberg kam er auch bald in ein persönliches Verhältnis, und diese wurden überhaupt damals dem Kraftgenies und Naturmenschen beigezählt, traten auch, wie alle aus dem Göthischen Kreise, mit Lavater in engere Verbindung und wurden von diesem in den Fragmenten als wahre Genie's ausgerufen *).

§. 113.

Matthias Claudius.

In demselben Jahre, wo Boie seinen Musenalmanach begann, eregte ein Landsmann und Freund von ihm Aufmerksamkeit durch den Ton, den er anstimmte, Matthias Claudius aus Reinfeld im Holsteinischen (1743 - 1815). Schon 1763, als er noch in Jena studirte, hatte er Dichtungen herausgege= ben (Tändeleien und Erzählungen), welche aber wenig Glück machten und zu sehr die Muster verriethen, die er nachahmte, ohne sie zu übertreffen, Gerstenberg und Gellert. Später ließ er sich in Hamburg, dann im benachbarten Wandsbeck nieder, und trat in Verbindung mit Christoph Bode, einen auch in der Geschichte der deutschen Literatur merkwürdigen Mann, der sich aus ganz niederer Herkunft durch Fleiß und Glück emporgehoben hatte und damals in Hamburg einer Buchhandlung vorstand. Bode kannte, in damaliger Zeit etwas Sels

*) Ein eigenes Werk über die Göttinger hat Pruß herausgegeben: Der Göttinger Dichterbund. Lpz. 1841.

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