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trag, so unnachahmlich schön, ist, wie wir schon oben erwähnten, nicht jedem anzurathen; gerade der Umstand, daß Herder in seinem Vortrage nichts gab als seine Persönlichkeit, wirkte ans regend; er wirkte dadurch der frühern Prosa entgegen, die entweder ihren althergebrachten, steifen Gang hielt oder eine Glätte erstrebte, welche ohne Gehalt war. Und so hatte er denn einen außerordentlichen Einfluß auf einen warmen Vortrag der Wissens schaft, wie auf die Behandlung derselben überhaupt. Man macht ihm den Vorwurf, daß er allgemein menschliche Bildung auf Kosten der vaterländischen gepriesen habe; betrachten wir jedoch die ganze Entwickelung unseres Volkes, so muß auch dies als ein Verdienst seines richtigen Gefühls gepriesen werden, daß er Bildung zur Menschlichkeit vor allem erstrebte, da ein nationaler Hochmuth ohne humane Gesittung immer etwas Barbarisches an sich trägt. Das größte seiner Verdienste bleibt die Befruchtung der Nation mit Ideen, und kein Schriftsteller hat mehr wie er Einfluß auf die ganze Weltansicht des Volkes ge= wonnen. Wenn uns manches, ja vieles in seinen Schriften jeht ganz gewöhnlich und alltäglich vorkommt, so rührt das nur daher, daß es durch ihn nach und nach vermittelst vieler Kanäle Eigenthum des Volkes geworden ist. Wird hierbei Herders Nahme fast nie genannt: so ist daran die Eigenthümlichkeit seiner Werke Schuld, die nicht als vollendete Bücher angesehen werden könnten, sondern nur als anregende, ideenreiche Ergüsse und Fragmente. Uebrigens war der große Mann ganz zufrieden damit, daß sein Nahme nicht genannt würde, wenn nur die Wirkung bliebe. Diese Entsagung auf allen Ruhm spricht er selbst aus in dem schönen Gedichte: Der Nachruhm.

Wir schwimmen in dem Strom der Zeit
Auf Welle Welle fort;

Das Meer der Allvergessenheit

Ist unser letter Ort;

Genug, wenn Welle Welle trieb

Und ohne Nahmen Wirkung blieb;

Wenn dann auch in der Zeiten Bau
Mich bald ihr Schutt begräbt,
Und meine Kraft auf Gottes Au
In andern Blumen lebt,

Und mein Gedanke mit zum Geist
Vollendender Gedanken fleußt.

Schön ist's, von allem anerkannt,

Sich allgelobt zu sehn.

Doch schöner noch, auch ungenannt

Wohlthätig festzustehn.

Verdienst ist meines Stolzes Neid,
Und bei Verdienst Unsichtbarkeit.

$. 105. Lavater.

Im Jahre 1769, drei Jahre nach Gottsched, starb Gellert, bis an seinen Tod in ungeschmälertem Besize der Verehrung und Liebe seiner Zeitgenossen. Ueber seinem Grabe erhob sich sogleich der Kampf, indem sich diejenigen, welche um jeden Preis einen Durchbruch in der deutschen Literatur erstrebten, jeht nicht mehr scheuten, offen zu erklären: Gellert sey nichts weniger als ein Genie, ja eigentlich gar kein Dichter, sondern nur ein Versmacher ohne alle höhere Begabung. Natürlich fehlte es nicht an eifrigen Vertheidigern des verehrten Mannes, und so entstand damals eine eigene Gellert-Literatur. Es ist bezeichnend für den jungen Göthe, daß er, der doch zu den neuen Krafts genie's gerechnet wurde, sich auf Gellerts Seite schlug und dessen herrliches Talent gegen alle Anfeindungen hervorhob. Den Umschwung der damaligen Zeit beweist aber die Thatsache, daß man einem Manne, der bei seinen zahllosen Anhängern allge= mein als Genie gegolten, weil er ein schönes Talent besessen, jeht diesen Titel rauben wollte, ihn aber dafür auf einen andern Mann übertrug, der eigentlich eben so wenig als Gellert für ein Genie gelten kann, dafür aber ein ausgeprägter Charakter war. In die Stelle nehmlich, welche Gellert in der Achtung der Zeitgenossen eingenommen, sollte schnell ein anderer Mann treten,

Johann Caspar Lavater von Zürich (1741 — 1801), ein Mann, der außerordentlich viel Aehnlichkeit mit Philipp von Zefen hat und sich zu Gellert gerade so verhält, wie Zesen zu Martin Opih. Auch Lavater suchte, wie Gellert, durch poetische, philosophische und religiöse Schriften auf die Nation zu wirken, fand wie Gellert, besonders bei den Frauen, bei den Großen und bei dem gemeinen Manne den höchsten Anklang, wurde wie Gellert von vielen als ein Heiliger verehrt, von andern als ein einseitiger Religiose bespottet; begnügte sich aber nicht mit der gemessenen schüchternen Haltung Gellerts, sondern trat mit aller Keckheit eines bedeutenden Charakters, mit aller Sicherheit eines Weltmannes auf, und ward der Hauptvertreter aller idiotischen wirksamen Schriftsteller, sowie Gellert ein Muster der Correctheit und Faßlichkeit gewesen war.

Als Philosoph trat Lavater zuerst mit seinen Aussichten in die Ewigkeit (1767) auf, in Ton und Manier ein Mittelding zwischen Poeste und Philosophie, ganz in Spaldings Style gehalten, breit und deklamatorisch, aber voll eigenthümlicher metaphysischer und christologischer Ideen, die er in seinen vermischten Schriften (1774-1782) zum Theil weiter ausführte *). Wie Herder eine ganz neue Ansicht von der Poesie aufstellte und deren Prüfstein in die Kraft seßte, welche der Urpoeste eigen ge= wesen: so Lavater ein ganz neues System der Religion, und wie bei jenem die Orakelsprüche Hamanns zu Grunde lagen, so bei Lavater die Lehren der wirtembergischen Theosophen Hahn und Oetinger. Er erkennt von vornherein, auch für unsre Zeiten, eine dreifache Quelle alles religiösen Wissens uud Handelns: Natur und Vernunft, die Bibel und unmittelbaren Umgang mit Gott; er verwirft den Unterschied der alten Dogmatik zwischen Natur und Gnade, natürlichem Vorgange und Wunder; Gnade und Wunderkraft sind ihm nur gesteigerte Natur. In völligem Gegensah zu den theologischen Aufklärern, welche alle Religion

*) Im ersten Bande gehört der Auffaß hierher: „Meine eigentliche Meinung von den Gaben des heiligen Geiftes, der Kraft des Glaubens und des Gebets;" im zweiten Theile gehören die Auszüge aus Briefen hierher, und diese Auszüge find vielleicht das Beste, was Lavater hat drucken laffen.

nur als Anstalten zur Beförderung der Sittlichkeit ansahen, und die Bestimmung des Menschen in Erkenntnis und Tugend setzten, erklärte er als Zweck des Menschen Erreichung von höchster Weiss heit, Güte und Macht, und als einziges Mittel dazu den Glau ben. Gesteigerte Kraft und physische Wirksamkeit hält er, was ganz gleichläuft mit Herders Ansicht von Urpoesie, für den Prüfs stein des wahren Glaubens, der eben untergegangen wäre, aber wieder erweckt werden müsse. Auch jezt noch müsse der gläubige Mensch Wunder thun, auch jetzt noch in unmittelbaren persön lichen Verkehr mit Gott sich sehen, auch jetzt noch durch sein Gebet Gottes Rathschlüsse ändern können. Das Göttliche und das Menschliche, das Geistige und das Körperliche waren ihm überhaupt nicht so geschieden, wie andere Philosophen es annahmen; auch Gott habe seine Organe, ohne welche er nichts erkenne, und der Mensch wieder Organe, wodurch er sich mit dem Höchsten in Verbindung sehe; Unsichtbarkeit des Geistes sey nur eine relative und schließe nicht die Körperlichkeit aus; der höher begabte Mensch könne sich mit Gott daher in eine solche Gemeinschaft sehen, daß er ihn sehe, höre, fühle ja sogar rieche.

So eigenthümlich wie seine metaphysischen Grundsäße, waren auch seine anthropologischen. Seine Schrift über Physionomik (1772) gab die ersten Grundrisse davon, und 1775-1778 folgten dann seine physiognomischen Fragmente, ein Werk, das sich wieder ganz mit Herders Briefen über Ossian und die Lieder der alten Völker, sowie mit der Sammlung der Volkslieder zusammenstellen läßt. Diese Fragmente And Lavaters Hauptwerk, seine Stärke und seine Schwäche; seine Stärke, indem hier ein reicher Vorrath genialer, herrlicher Gedanken niedergelegt ist, seine Schwäche, indem alles bunt durcheinander liegt, ohne Plan und Zusammenhang, das Edelste und Tiefste neben dem Abgeschmacktesten und Verzerrtesten, die reinste Humanität neben der gemeinsten Schwärmerei. Für seine eigenthümlichen Anschauungen schuf er sich eine besondere Sprache, die ganz nach Herders Forderung durchaus idiotisch ist und allerdings oft sehr tief greift; als wahrhaft schöpferischen Bewältiger des Sprachstoffes zeigt er sich aber doch nicht; denn anstatt immer das einzige Götzinger Lit.

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rechte Wort zu treffen, seht er dafür acht bis zehn Nennwörter, und anstatt die Sache zu geben, erhalten wir bloß den Eindruck, den ein Gesicht auf seine Stimmung macht, daher die ewigen Ausrufungen und Betheurungen, daher das immerwährende: „Wer wollte nicht? Wer dürfte! Wer könnte? Wer möchte!" u. f. w., eine Wendung, die Lavatern zur andern Natur wurde. Uebrigens hieng das Werk mit den Lieblingsneigungen der Zeit' mit dem Hunger nach Seelenforschung und Menschenkenntnis innig zusammen, und fand daher eine Menge Jünger, welche die neue Lehre als eine Art Religion aufnahmen; überall fam melte man nun Silhouetten und studierte das Menschenantliß; es ist auch durchaus nicht zu bestreiten, daß diese neue Liebhaberei wichtige Folgen gehabt hat, da sie den Blick auf die sichtbare Form des einzelnen Menschenantlihes lenkte und so auch dem Dichter und Zeichner für das Studium des Individuums von Nugen war. Die Zusammenstellung der Fragmente mit Winkelmanus Geschichte der alten Kunst ist daher gar nicht gesucht; denn Idee und Erfolg entsprechen sich allerdings. Auch hier sollte das Urbild menschlicher Schönheit gesucht und gezeigt werden; nur setzte Lavater, gan; im Sinne der Zeit, welche auch die niederländische Mahlerei über die italienische erhob, die Schöns heit nicht in die ruhige Harmonie der Formen, sondern umgekehrt in das Charakteristische. Eben so wird das Genie nicht in Kraft der Gestaltung gesetzt, sondern in den Drang zu wirken; Genie ist Lavatern überhaupt wundervolle Wirksamkeit auf andere, und in diesem Sinne steht ihm der Dichter, der Prophet, der Wunderthäter, der Adept ganz auf einer Stufe; man wird auch in dieser Zusammenstellung das Wahre nicht verkennen, nur daß das Wesentliche im poetischen Genie, die Hervorbringung dauernder Werke, dabei ganz unbeachtet blieb.

Die in den Aussichten und in den Fragmenten begonnenen Richtungen sette er später in vielen Schriften und Schriftchen fort, indem er überall anthropologische, psychologische, metaphyfische und christologische Andentungen und Regeln ausstreute. Seine Philosophie drehte fich einerseits ganz dem Standpunkte seiner Tage gemäß, um rein psychologische Aufgaben, Menschenkenntnis, Menschenliebe und Erziehung zu befördern, anderjeits

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