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Mundart, in Süddeutschland als die sächsische, in den kathos lischen Ländern als die protestantische, und so gieng man an den Gebrauch der Schriftsprache dort mit Schüchternheit und Verzagtheit, hter mit Mistrauen und Abneigung.

Es war aber ein großes Glück, daß wenigstens die gute Sprache einen eingebildeten Mittelpunkt fand; denn für die Nation selbst gab es keinen andern. Der Reichskörper war völlig zerfallen; der Sih des Kaiserhofes galt in nationaler und literarischer Hinsicht gar nichts; den einzelnen Provinzen fehlte es entweder an äußerer Bedeutsamkeit oder an heiterem Bewußtseyn der Behaglichkeit oder an Gefühl der Würde; allen öffentlichen Zuständen aber mangelte der Gehalt. Die beiden hervorragendsten Länder, Preußen und Sachsen, geben für die damalige Bildung trostlose Belege; denn der schwelgerische Hof zu Dresden wie der sols datische zu Berlin kamen in der Nichtachtung aller geistigen Interessen, wodurch die Nation gehoben werden konnte, überein. Eben so fehlte es der Literatur an allen Anhaltspunkten, da weder ein äußerer großer Anstoß sie bewegte, wie zur Zeit der Reformation, noch ein großer Nahme da wär, um den sich gute Talente hätten schaaren können; daher man denn bei wie derkehrender Lust und Kraft zum poetischen Schaffen, als man das Bedürfniß eines solchen Nahmens fühlte, immer nach Opit rief, der aber nichts mehr helfen konnte. Jede Blütezeit in Poefte und Wissenschaft sucht Mittelpunkte, um die sie sich lagert, an denen sie sich nährt. Denn Poeßte und Wissenschaft entstehen und werden; ein Geschlecht lernt von dem andern, und die Ers scheinung eines Meisters oder eines Meisterstücks ruft von selbst eine Jüngerschaft hervor. Ein solcher Mittelpunkt kann ein großer Mann seyn, oder ein einzelnes großes Werk, ja sogar ein groBes gewaltiges Ereignis im Leben des Volkes. Das Jahrhuns dert Opitzens entbehrte alles dies; es stüßte sich auf gar nichts Vorangehendes, sondern rein auf fremde Muster; es hatte keinen Maun aufzuweisen, der von durchgreifendem Einfluß auf die Gesammtbildung der Nation gewesen wäre, und die Geschichte des deutschen Volkes hört zwischen dem dreißigjährigen und dem siebenjährigen Kriege eigentlich ganz auf, daher nur von Verhandlungen der Kabinete die Rede war und die geführ

ten Kriege das Volk gar nicht berührten. Ueberall fehen wir gute Talente, zum Theil sehr begabte Männer; alles aber wirkt zerstreut und müht sich oft an Unbedeutendem ab. Das Beste, was erzeugt wird, und dem sich auch fast alle guten Köpfe zuwenden, ist das Kirchenlied, und hier waren Bibel und Reformation, Luther und Paul Gerhard große Mittelpunkte; allein durch Ausbildung des Kirchenliedes kann begreiflich keine große Literatur erzeugt werden, da der freie Dichtergeist darin gar keinen Spielraum findet, und der Begriff eines großen Werkes schon dem Wesen des Kirchenliedes widerstreitet. Wir fahen, daß Schottel den Mangel einer solchen größern Dichtung sehr beklagt, und daß Neukirch an dem Entstehen einer solchen verzweifelt und dem Dichter die leichte, galante Poesie anräth; auch Brockes sah seine Gedichte nur als Vorübungen und Bausteine zu einem großen physikalisch - theologischen Gedichte an. Wenn Lohensteins Arminius so großes Ansehen gewann, so lag dabei etwas Triftiges zu Grunde; denn hier war wahrlich ein großes Werk dargeboten, in welchem sich eine Menge Ins teressen der Nation vereinigten, und das daher für seine Zeit wirklich Bedeutung hatte.

Weil es nun der vorklopstockischen Poeste an jedem vereinis genden Mittelpunkte fehlte, so wurde sie auch bald vergessen, als eine neue auftauchte, die sich schnell mit der vorhandenen Bildung, mit den Neigungen der Edleren und mit den Anlagen der Sprache in ein besseres Verhältnis seßte; sie würde so völlig vergessen und selbst das Bessere aus ihrer Zeit, wie Grimmelshausen, Flemming, Gryphius, Logau, so dem Gedächtnis ents rückt, daß manches in eigentlichem Sinne erst neu entdeckt werden mußte. Zwischen Gellert und dem hohenstaufischen Zeitalter liegt eine große Kluft, ein leerer Zeitraum, der bei vielen gar nicht mitzählt, weil in der That nichts geschaffen wurde, was nach Form und Gehalt gleichmäßig befriedigte. Ein eigener Zufall war es, daß mit dem Erwachen der neuen Poesie auch die Entdeckung und Wiederbekanntmachung der mittelalterlichen Dichtung durch Bodmer zusammenfällt, eine Entdeckung, die jedoch nicht den mindesten Einfluß auf die neue Zeit hatte.

6. 70.

Verhältnis der neuen Literatur zu Kirche, Sitte und Gelehrsamkeit.

Als sich die neue Literatur festsette, zeigte sie, daß sie durchaus Einfluß gewinnen und wirklich eine geistige Macht werden wolle, die an der Erziehung der Nation theilnähme. Es ist aber nöthig, daß wir jezt einen Blick werfen auf die Mächte, welche bis dahin Einfluß auf das Leben des Geistes gehabt hatten, und mit denen die Poeste sehr bald in Zusammenstoß gerathen sollte. Diese Mächte waren: die Kirche, die Staatsgewalt und die gesellschaftliche, öffentliche Gitte, nebenbei auch die Gelehrsamkeit, wiewohl in weit engern Kreisen. Mit der Staatsgewalt machte sich die neue Literatur vor der Hand wenig zu schaffen, desto mehr mit der Kirche, mit der Sitte und mit der Gelehrsamkeit.

Die Kirche hatte, als weltliche Macht genommen, alle Kräfte des Lebens und alle Richtungen desselben sich dienstbar gemacht; der Protestantismus schien nur darum die Fesseln Roms abgeworfen zu haben, um in seinen Gebieten den Staat und jede fortschreitende Bewegung unter seine Fittige zu nehmen. Gelehrsamkeit und öffentlicher Unterricht, Wissenschaft und Kunst, richterliches und obrigkeitliches Ansehen, öffentliches Vergnügen und häusliche Feste alles lag mehr oder weniger unter dem Banne der Geistlichkeit, wiewohl keineswegs nach gefehlichen Bestimmungen und ausgesprochenen Grundsäßen. Auf Universitäten war die theologische Fakultät die vornehmste; von Geistlichen oder unter Obhut derfelben wurde aller Schulunterricht ertheilt, dessen Hauptgegenstand die Beibringung der Kirchenlehre war; über alle öffentlichen Vergnügungen und über viele Familienangelegenheiten übte die Kirche eine Art Censur, so daß jede freiere Lebensäußerung Einzelner oder ganzer Gesellschaften gewärtig sein mußte, auf öffentlicher Kanzel gerügt zu werden. Alle Staatsbeamten, auch die weltlichen, wurden auf die Bekenntnisschriften ihrer Kirche verpflichtet; Erwerbung und Genuß des Bürgerrechtes hieng in den meisten Staaten von

diesem Erkenntnisse ab; ja die Nichtbeachtung mancher kirchlichen Vorschriften und Gebräuche konnte den Verlust vieler Rechte nach sich ziehen; und Freidenkerei, Separatismus und Mysticismus wurden keineswegs blos, wie zu unserer Zeit, in Schriften be= kämpft und vertheidigt, sondern geradezu vor den Gerichtshof der Consistorien gezogen. Diese und die theologischen Fakul täten waren nun größtentheils auch Hüter und Wächter in der Literatur; es war also nichts Gleichgültiges, ihre Feindschaft fich zuzuziehen; wenigstens gehörte ein starker Charakter dazu, um sich in einen solchen Kampf einzulassen. Dabei war es jes doch nicht nur gestattet, sondern in den höhern Ständen durchaus Sitte, sich an den einzelnen Geistlichen zu reiben, nahmentlich an den niedern, die überhaupt in einer kläglichen Abhängigkeit von willkührlicher Gunst standen, ein Amt und Würde oft genug auf demüthigenden Wegen erringen mußten. Auch diese Herabwürdigung der untergeordneten Glieder der Klerisei beweist nur die Allmacht der höhern Behörden, die übrigens nicht immer aus geistlichen Gliedern bestanden.

Gegen diese weltliche Allgewalt des Christenthums hatten fich von jeher Stimmen vernehmen lassen; es waren aber einzelne, griffen auch gewöhnlich nur einzelne Verkehrtheiten heraus, ohne die Befugnis der protestantischen Kirche, in alles sich zu mischen, im Ganzen und Großen anzugreifen. Anfangs des achtzehnten Jahrhunderts sehen wir die Philosophen auf der einen, die Pietisten und Herrenhuter auf der andern die Burg der Kirche Stürmen, indem beide sich gegen den Druck der protestantischen Consistorien und Facultäten offen auflehnten. Die neue Literatur erhält aber geradezu dadurch ihren Charakter, daß sie sich von aller Abhängigkeit des kirchlichen Dogmas los zu machen suchte, den Buchstabenglauben bekämpfte und ihn auch innerlich brach. Die verschiedensten Geister: Lessing, Spalding, Wieland, Hamann, Klopstock, Herder, Lavater, Jung, fie kommen darin überein, daß sie eine freiere Ansicht von Christenthum und göttlichen Dingen verfochten und die Befugnis der Consistorien und Facultäten bestritten. Die ganze Masse der neuen Dichter und Schriftsteller stimmte in diesen Ton ein, die Verfechter der strengen Orthodoxie, wie

Melchior Göhe, bekamen einen bösen Nahmen; die Theologie selbst erhielt eine ganz neue Richtung und wurde wieder reformatos risch. Wenn wir uns jeht einer völligen Freiheit im Denken und Dichten, im Forschen und Untersuchen erfreuen, so verdanken wir es der Literatur des achtzehnten Jahrhunderts, welches daher mit Recht', im Gegensah zum siebzehnten, das aufge= klärte heißt, weil hier Aufklärung als eigentliches Feldgeschrei galt und selbst diejenigen, welche dem Gange derselben widersprachen, doch auch nichts als Neuerer waren, die alle den alten behaglichen Glauben bekämpften. Aeußere Ereignisse kamen der Literatur hiebei zu Hülfe; einmal die Thronbesteigung Friedrichs des Großen i. I. 1740, welcher völlige Freiheit in Glaubenssachen festsette; dann die Stiftung der Universität Göttingen i. J. 1736, wo die theologische Facultät nicht mehr die herrschende war, die Professoren völlige Censurfreiheit erhielten und die freieren und ́ gründlicheren Untersuchungen in Naturwissenschaften und Geschichte begannen.

Durch dieses Losreißen vom starren Lutherthum und Calvinismus gewann die Literatur nicht nur selbst eine freiere Ge= stalt, sondern lockte nun auch alle Geister in ihre Reihen, die eine freiere Bewegung erstrebten; besonders aber gewann sie das durch Einklang und Einfluß im katholischen Deutschland und führte auch dieses zu freierer Bewegung. Das Christenthum selbst konnte nur dabei gewinnen. Die äußere Blüte desselben ist in dem Jahrhunderte von 1740 bis 1840 sehr gesunken; die innere Blüte und Reinheit dagegen gestiegen. Wurde die Geltung der Kirchengewalt gefährdet, so läuterte und hob sich das gegen die Würde des Christenthums; stürzte das oft tyrannische Ansehen der höhern Geistlichkeit und der gelehrten Theologie: so gewann dagegen der Predigerstand an Bildung und Unbescholtenheit, und wand sich nach und nach der Staat von der Vormundschaft der Kirche los, so daß er weit unkirchlicher wurde als früher, so ist er jedenfalls jezt christlicher als vor hundert Jahren. Hier hat also die Literatur eine stille und langsame Eroberung gewonnen und ist selbst zu einer bes deutenden Macht geworden, was sie vor hundert Jahren nicht Denn es tam nach und nach so weit, daß beide Gewal

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