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So bewundernswürdig die Ausbildung ist, welche die mathematische Technik der Wahrscheinlichkeitsrechnung unter den Händen der grössten Mathematiker erlangt hat, so wenig ist. merkwürdigerweise die philosophische Seite der Wahrscheinlichkeitslehre entwickelt. Man vermisst in allen Darstellungen eine eingehende Erörterung der Stellung des Wahrscheinlichkeitsbegriffes in der Erkenntnisstheorie, die doch SO zu sagen eine centrale ist. Es fehlt überall an einer befriedigenden Vermittelung zwischen Wahrscheinlichkeit und Nothwendigkeit.

Jeder wird zugeben, dass irgend eine Aussage im eigentlichen Sinne entweder richtig oder falsch ist, und dass ihr so ohne Weiteres gar keine Eigenschaft zukommt, die verschiedener numerisch bestimmbarer Grade fähig ist, was eben die Wahrscheinlichkeit doch sein soll. Wenn ich z. B. sage, morgen um 12 Uhr Mittags wird es regnen, so ist das entweder richtig oder falsch tertium non datur. Ueberdiess ist es auch heute schon absolut sicher im Verlaufe des ursachlichen Zusammenhanges der Erscheinungen gegründet, ob es morgen um 12 Uhr regnen wird oder nicht. Dennoch spricht alle Welt und wohl mit Recht davon, welche Wahrscheinlichkeit es habe, dass es morgen regnen wird. Wenn heute das Barometer gefallen ist, schreibt man dem Satze, es wird morgen regnen, eine Wahrscheinlichkeit zu, die grösser als 1/2 ist, wenn das Barometer im Steigen ist, taxirt man die Wahrscheinlichkeit unserer Aussage kleiner als 12. Ja man könnte sogar unter Umsänden die fragliche Wahrscheinlichkeit mehr oder weniger genau numerisch auswerthen.

Da ist denn doch wohl eine eingehende Erörterung nöthig, was für eine Eigenschaft eine Aussage haben könne, deren Grade numerisch messbar sind.

Fick, Wahrscheinlichkeiten.

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Die philosophische Untersuchung des Wahrscheinlichkeitsbegriffes hat an sich schon das grösste Interesse, da allgemein anerkannt wird, dass alle unsere Erfahrungserkenntniss es nur zur Wahrscheinlichkeit geringeres oder höheres Grades nie zur apodiktischen Gewissheit bringen kann. Die Technik der Wahrscheinlichkeitslehre ist also gewissermassen die Technik der wirklichen Erfahrung überhaupt, und es ist ein Erforderniss der Erkenntnisstheorie, die Principien dieser Technik systematisch zu begründen. Dies ist aber meines Wissens noch nie in befriedigender Weize geschehen. Die auf den folgenden Blättern dargestellten Untersuchungen haben den Zweck, zu dieser Begründung einen Beitrag zu liefern.

Ich rechne darauf, dass diese Untersuchung vielleicht auch noch dahin wirken könnte, hartnäckige Zweifler an der Möglichkeit synthetischer Sätze a priori" zu bekehren. Bekanntlich giebt es noch immer Leute, welche solche Zweifel hegen, die sogar die mathematischen Wahrheiten für Produkte der Erfahrung halten, die z. B. den Satz, dass die 3 Winkel im Dreieck zusammen 2 Rechte betragen, für einen Erfahrungssatz erklären, obwohl, seit es eine Feldmesskunst giebt, noch niemals die Summe. der 3 Dreieckswinkel genau = 180° gefunden worden ist. Um solche Zweifel zu zerstreuen, giebt es nun wohl kaum ein anschaulicheres Beispiel, als die Sätze der Wahrscheinlichkeitslehre, die ihrer ganzen Ableitung nach gar nicht aus der Erfahrung hergenommen sein können und die sich doch auf Erfahrung beziehen.

I. Entwickelung des Wahrscheinlichkeitsbegriffes.

Der eigentliche Angelpunkt der ganzen Erkenntnisstheorie ist die Wahrheit, dass die Verknüpfung der Erscheinungen allgemeinen unverbrüchlichen Gesetzen unterworfen ist. Der häufig gebrauchte Ausdruck für diese Wahrheit, dass die Erscheinungen einem unverbrüchlichen Causalnexus unterworfen seien, ist, glaube ich, nicht ganz glücklich gewählt, weil nach unserem Sprachgebrauch die Worte Ursache und Wirkung, namentlich das letztere; noch etwas mehr einschliessen als die blosse gesetz- oder regelmässige Verknüpfung succesiver und gleichzeitiger Erscheinungen. Es ist hier nicht der Ort die Begriffe, Ursache und Wirkung, gründlich zu erörtern, nur die Bemerkung sei verstattet, dass der Begriff der Wirkung nothwendig zwei verschiedne Dinge voraussetzt, von denen das eine auf das andere einwirkt und umgekehrt, da nun aber das Wort „Ursache" durchweg als Correlat von „Wirkung gebraucht wird, so kann auch dies nur gelten, wo von der gegenseitigen Einwirkung verschiedener Dinge aufeinander die Rede ist. Wenn wir dagegen von dem blossen gesetzmässigen Ablauf der Erscheinungen sprechen, so brauchen wir nicht nothwendig die gegenseitige Einwirkung der Dinge aufeinander im Auge zu haben, wenn wir z. B. die gesetzmässige Bewegung der Fixsterne vom Aufgange zum Untergang betrachten, so kommt dabei eine Einwirkung verschiedener Körper aufeinander gar nicht in Frage.

Dass die Wahrheit, alle Verknüpfung der Erscheinungen sei allgemeinen Gesetzen unterworfen, nicht durch Erfahrung erworben, sondern a priori erkannt sei, ist von Kant mit mathematischer Evidenz dargethan und dürfte es wohl bei seiner Be

gründung dieser Wahrheit auf die hypothetische Urtheilsform, welche ihm bekanntlich mehr als 10 Jahre Nachdenken gekostet hat, sein Bewenden haben trotz der mancherlei Ausstellungen, welche ältere und neuere Kritiker hieran versucht haben.

Vielleicht wären manche dieser Ausstellungen unterblieben wenn man darauf geachtet hätte, dass jedes Urtheil, dessen Subject und Prädikat allgemeine Begriffe sind, ein hypothetisches ist, wenn es auch in einem einzigen Satze ausgedrückt ist. Ein durch ein Wort bezeichneter allgemeiner Begriff ist ja gar nichts anderes als eine Theilvorstellung die in verschiedenen wirklichen konkreten Wahrnehmungen als Bestandtheil gefunden werden kann.

Es ist gut zu bemerken, dass wir erkenntniss - theoretisch die Berechtigung haben aus der unendlichen Fülle von Momenten einer wirklichen Wahrnehmung ganz beliebige herauszunehmen, soviel oder sowenig, als wir wollen, und sie zu einem Begriff zu verknüpfen, denn der Beweis für ihre mögliche Zusammengehörigkeit liegt ja darin, dass sie eben in einer wirklichen Wahrnehmung einmal zusammen waren. Ob nun eine solche Zusammenfassung auch brauchbar ist, das kann man bei ihrer ersten Bildung gar nicht wissen, das kann sich eben nur im Verlaufe der Erfahrung zeigen. An sich unberechtigt sind nur solche Begriffe oder Zusammenfassungen von Wahrnehmungselementen welche in der gedachten Weise gar nie in einer wirklichen Wahrnehmung zusammen gewesen, sondern willkührlich aus verschiedenen Wahrnehmungen zusammengestellt sind. Z. B. ein Mensch mit Flügeln auf den Rücken oder dergleichen. Dagegen ist z. B. der Begriff eines „braunen Thieres" ganz wohl zulässig, denn man hat die Wahrnehmungen schon zusammen gemacht, dass ein ohne äusseren Anstoss sich bewegender Körper (Thier) von seiner Oberfläche Licht aussendet, das im Auge des Beschauers den Eindruck macht, der als „braun" bezeichnet wird. Dieser selbe Complex von Wahrnehmungselementen ist sogar schon oft wirklich gemacht z. B. bei Betrachtung von gewissen Schnecken und von Ochsen oder Pferden.

Man beachte dass die Handlung des Verstandes, vermöge deren aus einer wirklichen Wahrnehmung einzelne Elemente oder Komplexe von solcher herausgehoben werden durchaus spontan ist, da eben nur die wirkliche Wahrnehmung d. h. der Komplex von Empfindungen jederzeit das von aussen Gegebene ist. Von welchen Ele

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