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O daß Er es könnte, Er, den ich am liebsten zu meinem Richter haben möchte! Luther, du! Groffer, verkannter Mann! Und von niemanden mehr verkannt, als von den kurzfichtigen Starrköpfen, die, deine Pantoffeln in der Hand, den von dir gebahnten Weg schreyend, aber gleichgültig daher schlendern! - Du hast uns von dem Joche der Tradi tion erlöset: wer erlöset uns von dem unerträglichern Joche des Büchstabens! Wer bringt uns endlich ein Christenthum, wie du es ist lehren würdest; wie es Christus selbst lehren würde! Wer -

Aber ich vergesse mich; und würde noch mehr Sie vergessen, Herr Pastor, wenn ich auf eine dergleichen Neufferung, Ihnen vertraulich zu spräche: Herr Pastor, bis dahin, was weder Sie noch ich erleben werden; bis dahin, was aber gewiß kömmt, gewiß! gewiß! — wäre es nicht befser, unsers Gleichen schwiegen? unsers Gleichen verhielten sich nur ganz leidend? Was einer von Uns zurückhalten will, möchte der andere übereilen: so daß der eine mehr die Absichten des andern beförderte, als seine eignen. Wie wäre es, Herr Pastor, wenn wir den Strauß, den ich noch mit Ihnen auszufechten habe, den ersten und leßten seyn liessen? Ich bin bereit kein Wort weiter mit Ihnen zu verlieren, als was ich schon verloren habe."

Denn nein; das werden Sie nicht wollen. Goeze hat noch keinem seiner Gegner das lehte Wort gelassen; ob er sich gleich immer das erste genommen. Er wird, was ich zu meiner Vertheidigung sagen müssen, als Angriff betrachten. Denn der Tummelplaß des seligen Ziegra muß ihm nicht vergebens nun ganz angestorben seyn.

Ich beklage: denn sehen Sie, Herr Pastor, es wird mir unmöglich fenn, nicht gegen Ihren Stachel zu läcken, und die Furchen, fürchte ich, die Sie auf dem Acker Gottes mich mit aller Gewalt wollen ziehen lassen, werden immer krümmer und krümmer werden.

Nicht zwar, daß ich Ihnen jede hämische Anspielung; jeden, wenn Gott will, giftigen Biß; jeden komischen Ausdruck Ihres tragischen Mitleids, jeden knirschenden Seufzer, der es beseufzet, nur ein Seufzer zu seyn; jede pflichtschuldige Pastoralverheßzung der weltlichen Obrigkeit, womit Sie gegen mich von nun an Ihre freywilligen Beyträge spicken und wür zen werden, aufmußen, oder, wenn ich auch könnte, verwehren wollte. So unbillig bin ich nicht, daß ich von Einem Vogel in der Welt eine einzige andere Feder verlangen sollte, als er hat. Auch haben dieserley Pharmaka ihren Credit längst verloren.

Sondern nur eines werde ich nicht aushalten können: Ihren Stolz nicht; der einem Jeden Vernunft und Gelehrsamkeit abspricht, welcher Vernunft und Gelehrsamkeit anders braucht, als Sie. Besonders wird alle meine Galle rege werden, wenn Sie meinen Ungenannten, den Sie nur noch aus unzusammenhängenden Bruchstücken kennen, so schülerhaft

und bubenmäßig zu behandeln fortfahren. Denn Mann gegen Mann, — nicht Sache gegen Sache zu schätzen: so war dieser Ungenannte des Gewichts, daß in aller Art von Gelehrsamkeit, sieben Goeze nicht ein Siebentheil von ihm aufzuwägen vermögend sind, Das glauben Sie mir indeß, Herr Pastor, auf mein Wort.

Und sonach meine ritterliche Absage nur kurz. Schreiben Sie, Herr Pastor, und laffen Sie schreiben, so viel das Zeug halten will: ich schreibe auch. Wenn ich Ihnen in dem geringSten Dinge, was mich oder meinen Ungenannten angeht, Recht lasse, wo Sie nicht Recht haben, dann kann ich die Feder nicht mehr rühren.

Beispiel 13.

Aus der Erziehung des Menschengeschlechts. (Bd. X. S. 327.) §. 85.

Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen, nicht nöthig haben wird; da er das Gute thun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkührliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem blos heften und stärken sollten, die immer bessern Belohnungen desselben zu erkennen.

§. 86.

Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes ver sprochen wird.

§. 87.

Vielleicht, daß selbst gewisse Schwärmer des dreyzehnten und vierzehn. ten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufge fangen hatten; und nur darinn irrten, daß sie den Ausbruch desselben so nahe verkündigten.

§. 88.

Vielleicht war ihr dreyfaches Alter der Welt keine so leere Grille; und gewiß hatten sie keine schlimme Absichten, wenn sie lehrten, daß der Neue Bund eben so wohl antiquiret werden müsse, als es der Alte geworden. Es blieb auch bey ihnen immer die nehmliche Dekonomie des nehmlichen Gottes. Immer fie meine Sprache sprechen zu lassen — der nehmliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menschengeschlechte. §. 89.

Nur daß sie ihn übereilten; nur daß sie ihre Zeitgenoffen, die noch kaum der Kindheit entwachsen waren, ohne Aufklärung, ohne Vorbereitung,

mit Eins zu Männern machen zu können. glaubten, die ihres dritten Zeitalters würdig wären.

§. 90

Und eben das machte sie zu Schwärmern. Der Schwärmer thut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft: aber er kann diese Zukunft nur nicht erwarten. Er wünscht diese Zukunft beschleuniget; und wünscht, daß sie durch ihn beschleuniget werde. Wozu sich die Natur Jahrtausende Zeit nimmt, soll in dem Augenblicke seines Daseyns reifen. Denn was hat er davon, wenn das, was er für das Bessere erkennt, nicht noch bey seiz nen Lebzeiten das Bessere wird? Kömmt er wieder? Glaubt er wieder zu kommen? Sonderbar, daß diese Schwärmerey allein unter den Schwärmern nicht mehr Mode werden will!

§. 91.

Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur laß mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. Laß mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurück zu gehen! Es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die ge rade ist.

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§. 92.

Du hast auf deinem ewigen Wege so viel mitzunehmen! so viel Seis tenschritte zu thun! Und wie? wenn es nun gar so gut als ausgemacht wäre, daß das große langsame Rad, welches das Geschlecht seiner Vollkommenheit näher bringt, nur durch kleinere schnellere Räder in Bewegung geseßt würde, deren jedes sein Einzelnes eben dahin liefert?

§. 93.

Nicht anders! Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu sei ner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher, der später) erst durchlaufen haben. „In einem und eben demselben Leben „durchlaufen haben? Kann er in eben demselben Leben ein sinnlicher Jude ,,und ein geistiger Christ gewesen seyn? Kann er in eben demselben Leben ,,beyde überhohlet haben?"

Das wohl nun nicht!

§. 94.

-Aber warum könnte jeder einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal auf dieser Welt vorhanden gewesen seyn?

§. 95.

Ist diese Hypothese darum so lächerlich, weil sie die älteste ist? weil der menschliche Verstand, ehe ihn die Sophisterey der Schule zerstreut und geschwächt hatte, sogleich darauf verfiel?

§. 96.

Warum könnte auch Ich nicht hier bereits einmal alle die Schritte zu meiner Vervollkommnung gethan haben, welche blos zeitliche Strafen und Belohnungen den Menschen bringen können?

§, 97.

Und warum nicht ein andermal alle die, welche zu thun, uns die Aussichten in ewige Belohnungen, so mächtig helfen?

§. 98.

Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich auf Einmal so viel weg, daß es der Mühe wieder zu kommen etwa nicht lohnet?

§. 99.

Darum nicht? - Oder, weil ich es vergesse, daß ich schon da ge= wesen? Wohl mir, daß ich das vergesse. Die Erinnerung meiner vorigen Zustände, würde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwärtigen zu machen erlauben. Und was ich auf iht vergessen muß, habe ich denn das auf ewig vergessen?

§. 100.

Oder, weil so zu viel Zeit für mich verloren gehen würde? Verloren? Und was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?

V. Christoph Martin Wieland. 1733-1813.

Christoph Martin Wieland war der Sohn eines Predigers im Dorfe Oberholzheim' bei Biberach und wurde daselbst am 5. Septb. 1733 geboren. Sehr früh entwickelten sich bei ihm seine ausgezeichneten Fähigkeiten für Sprache und Dichtkunst. Der Vater begann ihn im vierten Lebensjahre zu unterrichten, im siebenten las er den Cornelius Nepos mit Vergnügen, im dreizehnten Virgil und Horaz und fing auch jetzt schon ein episches Gedicht über die Zerstörung Jerusalems an. Im fünfzehnten Jahre seines Lebens schickte ihn sein Vater auf die damals unter. dem Abte Steinmetz blühende Schule zu Kloster Berge bei Magdeburg, wo er zwei Jahre blieb, und sowohl in Schulwissenschaften bedeutende Fortschritte machte, als auch durch den frommen Sinn, welcher hier herrschte, auf gläubige Weise angeregt wurde. Als er im siebzehnten Jahre die Universität Tübingen bezog, um die Rechte zu studiren, mussten diese Studien vor seinen dichterischen bald zurücktreten. Er zog sich sehr zurück und verschloss sich oft in sein Zimmer um zu dichten. So erschienen schon 1752 von ihm gedruckt: die Natur der Dinge, der Antiovid und die moralischen Briefe und Erzählungen, welche alle das Gewand des Gläubigen und Frommen an sich tragen, obschon der Dichter nach

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1. Vgl. Morgenblatt 1817. No. 267. Daß Wieland Biberach seine Vaterstadt nennt beweist nichts dagegen, weil der Vater nachher Senior in Biberach und Wieland dort erzogen wurde.

schweren Kämpfen und Zweifeln durch die Schriften von Bayle, d'Argens und Voltaire schon dahin gekommen war den Entschluß zu fassen: „dem Kopfe nach ein Freidenker und im Herzen der tugendhafteste Mann zu werden." Er versuchte auch in Tübingen ein Heldengedicht, Arminius, in heroischem Versmaaß zu dichten und schickte die fünf erften Gesänge Bodmer zu, welcher sie Hagedorn mittheilte und mit dies sem vergeblich auf den Verfasser rieth, bis Wieland selbst sich ihm als solchen entdeckte und darauf von Bodmer freundlich nach Zürich eingeladen wurde, wo Klopstock kurz zuvor gelebt hatte. Hier gab er sich nach Bodmere Vorbilde und Anleitung ganz der geistlichen Dichtung hin, dichtete den geprüften Abraham, eine Patriarchade, und schrieb in Hexametern die Briefe der Verstorbenen, worin er die ebenso genannten berühmten Briefe der Madame Rowe zu übertreffen suchte. Jeßt waren ihm Uzens fröhliche Scherze und der Schwarm anakreontischer Sänger zu weltlich und gottlos und in seinen poetisch - prosaischen: Empfindungen eines Christen" fordert er den Hofprediger Sack in Berlin auf, öffentlich die Unordnung und das Ärgerniss zu rügen, welches diese leichts finnigen Witlinge anrichteten. Bald aber kam er von dieser Richtung, welche wohl nie die wahre seines Gemüthes gewesen ist, sondern die er sich nur angelernt hatte, zurück, wovon schon sein Araspes und Panthea (1758), wozu seine Beschäfftigung mit Xenophon ihn geführt hatte, Spuren enthält. So kehrte er überhaupt zu den weltlichen Studien zurück. Neben Xenophon und Euripides wurden Boccaccio und die Franzosen nebft Schaftesbury seine Lieblinge. Es bedurfte darum nur noch einer äußern Veranlassung, um ihn der geistlichen Richtung, welche ihm nicht von Herzen ging, ganz zu entfremden. Eine solche Hauptveranlassung war seine Rückkehr nach Biberach 1759, wo er Kanzleidirector wurde, wels ches Amt er bis 1769 verwaltete Hier kam er durch la Roche, den Gemahl seiner frühern Geliebten, Sophie von Gattermann, den Freund und Pflegefohn des Grafen Stadion, welcher das Gut Warthausen besaß, mit einem Bildungskreise in Berührung, welcher ihn lebendig ansprach und wo er heitren Lebensgenuß mit Sittlichkeit, welcher er stets treu bleiben wollte, verbunden sah, worin aber statt der Religion und Offenbarung nur natürliche Sittenlehre und praktische Philosophie galten. Diesen Geistesrichtungen schloss er sich nun an und sein Theages, über Schönheit und Liebe, zeigte diesen Übergang, welchen er dann in der lüfternen Erzählung „Nadine" (1762) und im Agathon (seit 1764), seinem Lieblingswerke, vollkommen aussprach. — Ihn auf dieser Bahn festzuhalten, bewürfte auch der Beifall, welchen diese spätern Werke fanden, während er in seinen geistlichen Gedichten, in seinem Epos „Cy. rus" und seinen Dramen Johanna Gray und Clementine di Pischson Denkm. IV. 22

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