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zugsweise die 70er Jahre) 'die Hamlet'sche nennen, aus deren Düsterheit und Zerrissenheit eigentlich allein Göthe sich zum freundlichen Lichte hinaufrang.' Shakespeare's Hamlet beschäftigte die Gemüther, Young und Ossian lagen den Herzen nah. 2 'Der deutsche Geist, sagt Prutz a. a. O., liebte es damals, wie Hamlet sich zu versenken in die Beschauung des eigenen kranken Seelchens, herumzutasten und zu deuteln an den Schwächen und Unzulänglichkeiten des erregten Gemüths, und über die eigene Nichtsnutzigkeit sogar, wie Hamlet, mit ironisch eitelem Behagen zu meditiren: es war die Zeit, wo Hamann der Magus aus Norden ward, die Zeit der Briefwechseleien, der Freundschafts-Überschwänglichkeiten und Selbstbekenntnisse. So erklärt sich die ausserordentliche Theilnahme, der rauschende Beifall, mit welchem damals von den Stücken des eben erst entdeckten Shakespeare vor allem Hamlet aufgenommen wurde: man wurde nicht müde, ihn zu sehen, zu lesen, zu commentiren; in keinen andern Charakter, wenn wir den Berichten jener Zeit trauen dürfen, hatten die Künstler des deutschen Theaters sich inniger und erfolgreicher hineingelebt, mit keinem machten sie mehr Glück, als mit dem Hamlet.'Der deutsche Geist befand sich nämlich zu jener Zeit in derselben Lage, wie Shakespeare's Hamlet nach Göthe's tiefsinniger Erklärung: es war eine That auf ihn gelegt, eine Aufgabe ihm gestellt, der er nicht gewachsen war. Diese grosse Aufgabe war, aus dem deutschen literarischen Chaos, aus den Verirrungen höfischer Gelegenheitsdichterei, roher Volkspoesie, inhaltloser nüchterner Regelgerechtigkeit nach französischem Vorbilde, aus dem teutonischen Bardengesange, der Halberstädter Epistelschreiberei und der Halle'schen Gefühlsschwärmerei eine einheitliche, selbständige und vor Allem originale Nationalliteratur zu schaffen. Wie Wenige sind ausser Göthe aus diesem Kampfe siegreich hervorgegangen, wie Viele sind daran gescheitert und haben ihren Untergang ganz in Hamlet'scher Weise gefunden! Man denke nur an die sogenannten Geniemänner der Sturm- und Drangperiode, an die Klinger ('in dessen Stilpo 1777 Situationen aus Romeo und Hamlet herüberspielen' Gervinus IV, 585), Maler Müller, L. Phil. Hahn (1746-1813), Leopold Wagner und vor allem an den unglücklichen J. M.

1 Aus meinem Leben, 13tes Buch. Bd. 26, S. 215. Stahr a. a. O. S. 39. Vgl. Prutz in d. Halle'schen Jahrbüchern 1840 No. 105-106. 2 Gervinus, Shakespeare IV, 523.

Reinhold Lenz, 'das traurigste Opfer der Überspannungen jener Periode'. 1

Um jedoch den Eindruck und Einfluss Hamlets auf Deutschland recht verstehen und würdigen zu können, müssen wir unsere Blicke auf die Bühne richten. An den beiden Orten, von wo die ersten Bestrebungen zur Errichtung einer nationalen deutschen Bühne ausgingen, wurden auch die ersten Versuche gemacht, Shakespeare und seinen Hamlet insbesondere zur Darstellung zu bringen, nämlich an den beiden Endpunkten Deutschlands, in Wien und Hamburg. 2 In welchem Jahre Hamlet zum ersten Male in Deutschland aufgeführt worden ist, dürfte sich schwerlich ermitteln lassen. Die alte (wienerische?) Bearbeitung des Hamlet, sagt Devrient S. 360, deren Inhalt der Gothaische Theaterkalender von 1779 mittheilt und wovon Eckhof eine Abschrift mit der Jahreszahl 1710 besass, ist also zu dieser Zeit, gewiss [?] aber auch schon viel früher, aufgeführt worden. Im Jahre 1779 spielte der Prinzipal Ilgener in Altona .den Hamlet; vielleicht jenen alten, vielleicht schon eine Einrichtung der Wieland'schen Übersetzung. Dass Heufeld eine solche 1773 in Wien auf die Bühne brachte, ist uns bekannt; seine Bearbeitung ist besonders desshalb von Wichtigkeit, weil sie die unmittelbare Vorgängerin der Schröder'schen war. Wie übrigens jene älteste Theatereinrichtung des Hamlet beschaffen gewesen sein möge, lässt sich aus einzelnen Zügen abnehmen; sie war zwar dem tragischen Ausgange des Originals treu geblieben (der später in einen glücklichen verwandelt wurde), allein sie muss viele Weglassungen nicht nur, sondern auch Zusätze enthalten haben. So giebt z. B. der Geist der Schildwache eine Ohrfeige, dass sie die Muskete fallen lässt, was die Schröder'sche Bearbeitung dahin abänderte, dass der Soldat erzählt, der Geist habe ihm das Kasket vom Kopfe gestossen.

Dem ausgezeichneten Friedrich Ludwig Schröder (1744 bis 1816) gebührt das Verdienst, Shakespeare für das deutsche Theater gewonnen zu haben', ein Fortschritt, der sich vorzugsweise an Hamlet als das erste von Schröder aufgeführte Stück Shakespeare's anknüpft. 3 Schon in Schröder's verwildertes

1 Vgl. Gervinus IV, 576 folgg.

2 Ed. Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst (Lpzg, 1848) II, 539 folgg. Stahr a. a. O. S. 43 folgg.

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3 Vgl. Devrient II, 363 folg.

Schröders Leben von F. L. W. Meyer (Hambg, 1819) I, 57. 223. 287. 290. 307 sq. 314. 346. II, 268. Schröder's Werke, herausgeg. von Tieck.

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Knabenleben (1758) hatten Bruchstücke aus Hamlet, Lear, Othello, die sein abenteuerlicher Jugendbeschützer Stuart ihm vortrug, den ersten zündenden Funken geworfen. Die Erscheinung von Wieland's Shakespeare riss den Jüngling zur guten Stunde mit Gewalt heraus aus seinem wüsten Leben. Erst viele Jahre später (1779) konnte er durch eisernen Fleiss dahin gelangen, Shakespeare in der Ursprache zu studiren. Auf seiner Reise im Jahre 1776 sah er in Prag die Heufeld'sche Bearbeitung des Hamlet und machte sich, sobald er nach Hause zurückgekehrt war, an eine eigene Bearbeitung unter Zugrundelegung der Wieland'schen Übersetzung, jedoch mit Beibehaltung des kleinen Schauspiels aus der Wiener Bearbeitung. Diese Bearbeitung, wie sie uns in seinen dramatischen Werken vorliegt, ist durchaus frei und in Prosa abgefasst. Die Sprache ist gedrängt und kräftig. Das Stück hat bei ihm sechs Aufzüge, ungeachtet er vieles ausgeschnitten hat. Es fehlt der ganze norwegische Hintergrund sammt Fortinbras; Rosenkrantz, Reynaldo und Osrick sind gestrichen; die Erzählung des Äneas. ist gestrichen; der Zweikampf zwischen Hamlet und Laertes ist weggelassen u. s. w. Dagegen hat Schröder Äusserlichkeiten mehr mit dem nordischen Charakter und Kostüm in Einklang zu bringen gesucht. So hat er den Polonius in Oldenholm, den Horatio in Gustav und die drei Soldaten Bernfield, Ellrich und Frenzow umgetauft. Hamlet, welchen er in Übereinstimmung mit dem Zeitgeschmacke und in Nachahmung Heufelds bei der Aufführung anfänglich leben und zu glücklicher Regierung kommen liess, 1 wird in der gedruckten Bearbeitung sammt der Königin durch den König vergiftet und dieser vom Hamlet erstochen. Die Königin bekennt sterbend ihre und des Klaudius Missethat, und ein Donnerschlag bekräftigt ihr Geständniss. Erst einige Monate nachdem das Wagstück gelungen war, wurde der weggelassene Laertes und die Todtengräberscene hinzugefügt; Schröder selbst spielte den ersten Todtengräber. Überhaupt muss es Schröder nachgerühmt werden, dass er sich bei seinen Aufführungen Shakespeare'scher Stücke schrittweise dem Original mehr und mehr näherte und Shakespeare fast bei jeder Vorstellung mehr von seinen Schätzen zurückgab. Der so bearbeitete Hamlet wurde am 20. Septbr. 1776 zum ersten Male

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1 I'Man gab damals fast überall dem Hamlet einen fröhlichen Ausgang'. Stahr S. 36. Vgl. Wilhelm Meister, wo an Wilhelms Bearbeitung von seinen Freunden dieselbe, von ihm jedoch standhaft abgelehnte Anforderung gestellt wird. Ein Zurückgehen auf Saxo Grammaticus ist dabei schwerlich anzunehmen.

gegeben und musste gleich an den folgenden Tagen wiederholt werden. Schröder selbst fand als Geist Gelegenheit, seinen Beruf als tragischer Schauspieler auf das vollständigste darzuthun. Die volle Gewalt, welche er über seine hohe Gestalt hatte, liess ihn einen geisterhaften, fast schwebenden und dennoch imponirenden Schritt finden, sein dumpfer Sprachton vollendete den gespenstigen Eindruck der Erscheinung. Den Hamlet gab Franz Karl Brockmann (1745 — 1812), der ausschliesslich dieser Rolle seinen Ruhm verdankt. 2 Die Wirkung war ungeheuer. Hamlet und Brockmann waren in Hamburg das Tagesgespräch, beschäftigten die zeichnenden und bildenden Künste und standen in getriebenem Bildwerk, in Kupferstichen und Münzen in den Schauläden. 3 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Erfolg Göthe'n bei seiner Schilderung im Wilhelm Meister vorgeschwebt hat. Zwei Jahre später (um Neujahr 1778) bezauberte Brockmann auch Berlin mit seinem Hamlet. Er spielte hier während seines Gastspiels den Hamlet zwölf Mal; eine Denkmünze wurde auf dieses Ereigniss geschlagen, werthvolle Kupferstiche verherrlichten es, und die ganz neue Ehre des Hervorrufs wurde ihm zu Theil. + Fasst man indessen Alles, was zum Preise und zur Auseinandersetzung von Brockmann's Spiel geschrieben worden ist, zusammen, so geht doch deutlich daraus hervor, dass er sich mehr an die neuen und überaus günstigen Wirkungen gehalten habe, welche die Schröder'sche Bearbeitung darbot, als dass er sich in die ganze Tiefe der Shakespeare'schen Idee versenkt hätte. Schröder hingegen, welcher nach Brockmann's Weggange ebenfalls den Hamlet spielte, wusste diese aus dem Originale hervorgehende Auffassung auch seiner Bearbeitung anzupassen. Auch Schröder folgte, wie Brockmann, einer Einladung zum Gastspiel nach Berlin (im Decbr. 1778) und spielte dort zwölf Tage nacheinander, in den letzten sechs Tagen nur den Hamlet. Bei seinen

1 Devrient II, 362.

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J. F. Schink, Über Brockmann's Hamlet. Berlin, Sander, 1778. Über Brockmann's Auffassung des Hamlet im Gegensatze zur Schröder'schen s. Devrient II, 362 folgg.

3 Stahr a. a. O. 44.

4 'Das Beifallszeichen des Hervorrufs stammt aus Italien und wurde in Deutschland zuerst an dem Balletmeister Noverre in Wien ausgeübt. Der erste Schauspieler, dem diese Ehre angethan wurde, war Bergopzomer, ein Effektspieler und Coulissenreisser als er am 4. Juni 1774 in Weisse's Richard III. in Wien debütirte. In Norddeutschland wurde es nun an Brockmann nachgeahmt.' Devrient II, 363.

Darstellungen Hamlets in Wien wurden, wie er selbst berichtet, Thüren eingesprengt, und Tausende von Zudringenden mussten abgewiesen werden. Ähnlich wirkten seine Darstellungen in München, Mannheim und andern Orten. Es versteht sich, dass Schröder, durch solchen Erfolg ermuthigt, in rascher Aufeinanderfolge auch andere Shakespeare'sche Stücke (Othello, Kaufmann von Venedig, Maass für Maass, König Lear, Macbeth etc.) auf die Bühne brachte. Hamlet war übrigens mit reissender Schnelligkeit zum Zugstücke auf allen Bühnen geworden, alle Schauspieler drängten sich zur Titelrolle, selbst Schauspielerinnen, wie die schöne Frau des Prinzipals Abt, versuchten sich daran. Hamlet war mit Einem Worte der Lieblingscharakter der Zeit und recht eigentlich der Vertreter des Dichters in Deutschland. Erst gegen Ende der 80er Jahre scheint das Shakespeare - Fieber auf dem deutschen Theater etwas nachgelassen zu haben; wenigstens berichtet das Journal des Luxus und der Moden im Jahre 1790, dass die Hamlets und Lears, die Bataillenpferde aller wandernden Schauspieler, die sich auf ihre Lunge und mächtigen Arme etwas zu gut thäten und nun gleich mit Brockmann und Schröder wetteifern zu können glaubten, nicht mehr so häufig vorkämen. 1

Allein so weitgreifend und eindringend die Wirkung auch sein mochte, welche Hamlet auf Deutschland nach allen diesen Richtungen hervorbrachte, so beruhte dieselbe doch mehr auf unmittelbarer Sympathie und dem Zauber einzelner Schönheiten und Charaktere, als auf einer klaren Erkenntniss der wahren innern Bedeutung des Stückes und einer tiefern Einsicht in seine Absicht und seinen Bau. Es bedurfte eines ebenbürtigen Geistes, um dieses Räthsel zu lösen, und erst Göthe verstand es, die Geheimschrift dieser Dichtung zu entziffern und damit den Schlüssel zum Dichter überhaupt zu geben. Er löste die sieben Siegel, er hat den Hamlet so zu sagen zum zweiten Male geschaffen. Göthe trat den Kraft- und Geniemännern entgegen, welche die Regellosigkeit und Unbegreiflichkeit gerade als Shakespeare's Grösse bezeichnet hatten; er behauptete im Gegentheil, dass seinen Stücken tiefe Pläne und die wahren Gesetze der Kunst zu Grunde lägen und wählte sich den Hamlet zum Beweise. Schon in Strassburg beschäftigte sich Göthe mit dem Hamlet, den er, jedenfalls in der Wieland'schen Übersetzung, eines Abends bei den städtischen Verwandten der Sesenheimer

1 Bertuch und Kraus, Journal des Luxus und der Moden, Bd. 5. 1790 S. 126 folg.

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