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wollten, und hätte überdies eine gute Norm abgeben können für das verderbte Deutsch der geselligen höhern Kreise. In der That bietet die Behandlung der deutschen Sprache in jener Zeit das sonderbarste Bild dar, indem jeder dieselbe nach Belieben handhabte und sich in eine besondere Manier hineinschrieb. Ein Schriftsteller, der noch mitten in jener Zeit steht, Anton Wall, stellt in einer Vorrede *) folgende Betrachtung darüber an: „Was die deutsche Sprache betrifft, so ist dieselbe anjezt von „viererlei Art. Erstlich haben wir das deutsche Volksdeutsch. "Dieses ist die Sprache der Dichier und der Schiffer. Zweitens „haben wir das deutsche Residenzen-Deutsch. Dieses soll „sehr wohlklingend und ein Extrakt aus allen todten und leben„digen Sprachen seyn. Drittens haben wir das deutsche Pa= „rade-Deutsch, welches sich wiederum in ganzes, halbes und „Viertels-Parade-Deutsch eintheilt. Dieses ist besonders in Oden „über die deutsche Sprache, in Biographieen, in der Alchymie, „Physiognomie und Dekonomistik, auch hie und da nicht nur in der reinen Philosophie, sondern auch in der angewandten, d. i. „in der Geschichte und in den Romanen, üblich und hat vor»züglich zum Zwecke, dem Zuhörer in so vielen Worten als möglich so wenige Begriffe als möglich beizubringen. Viertens „endlich haben wir das deutsche Deshabillee-Deutsch, wel„ches zu unsers seligen Gellerts Zeiten neun hübsche Mädchen »und drei hübsche Wittwen heimlich mit einander erfunden has „ben, um damit Jung und Alt zu verführen.« Zu lehterer Klasse würde denn auch Wielands Deutsch gehören. Als fünftes Deutsch hätte Leffings Rede genannt werden müssen; der wahre deutsche Styl ohne Manier war aber so selten geworden, daß selbst Göthe gesteht: als er hätte wirklich Prosa schreiben wollen, habe er zu seinem Schrecken bemerkt, daß er und alle seine Freunde dies gar nicht könnten, und habe nun erst bei Lessing in die Schule gehen müssen **).

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*) Erzählungen nach Marmontel. Leipzig 1787.

**) Auch Schloffer, der doch felbft so viel zur Verderbnis deutscher Profa beitrug, flagte sehr über den Verfall derselben in seiner Ueberfeßung des Longin (Longin vom Erhabenen. Lpz. 1781) S. 241: „Einige unserer beften Schriftsteller affektiren eine gewisse Weitläuftigkeit,

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Eine eigentliche Schule hat Wieland nie gestiftet, und wie wäre das auch möglich gewesen, da er selbst weder poetische noch wissenschaftliche Grundsäge hatte und immer selbst sich widersprach? Gerade das, was das Salz seiner Schriften ist, die spottende, lächelnde, strafende Ironie, läßt sich nicht in Grundfähe einer Schule bringen. Allein er genoß ein gränzenloses literarisches Zutrauen, und da seine Art Verse zn machen und Bücher zu schreiben, so leicht schien, rief er eine Menge, eine zahllose Menge Nachahmer hervor, die er aber ohne Ausnahme von ganzem Herzen verfluchte. Der eine erbaute sich an seinem Versbau, der andere an seiner eleganten Sprache, der dritte an seinen romantischen Stoffen, der vierte an seiner Ansicht von Alterthum, der fünfte an seiner freien Ansicht in Religionssachen, der sechste an seinen schlüpferigen Schilderungen; den ganzen Mann in seiner vielseitigen Thätigkeit hatte keiner vor Augen, jeder ahmte ein Stück von ihm nach, und so entstanden die schlechten Rittergedichte ohne Salz und Anmuth, schlüpferige Romane, wie Heinse's, und philosophische Romane, die nur insoweit diese Nahmen tragen können, als sie bloß den innern Menschen zum Gegenstande haben und aller äußern Poefte entbehren. Selbst die vielen Ritterromane, die in den achtziger Jahren aufkamen, lassen sich mit auf Wielands Oberon zurückführen.

§. 123.

Die Berliner.

Als die Gegenden, von wo die neuen Richtungen ausgiengen, haben wir Zürich, Königsberg, Göttingen und den Rhein

die einen Gedanken über zehn Zwischengedanken zerrt; andere geben fich Mühe, rauh und hart zu seyn, und die andern schreiben faßt wie die Zeitung. Da Mendelsohn und Leffing zu schreiben anfiengen, schien es wirklich, daß die deutsche Sprache auch von der Seite ges winnen würde. Aber die Periode dauerte nicht lange, und die aufkeimende Hoffnung kam nicht zur Reife. Aus Furcht, in die Gellert’sche Weichheit zu fallen, fielen einige in Härte, und andere wurden durch die Sternische Laune zu ihrer oft so schleppenden Geschwäßigkeit verleitet. Auch giebt's einige, die in lauter Prosa offenbar poetische StelzenFanuehmen u. f. w.“

bezeichnet. Von jenen Gegenden aus sollte aber auch der gehaltvollste Gegensah zu dem Uebermaß der neuen Versuche kommen. Daß sich in Zürich selbst eine heftige Opposition gegen die Lavater'sche Richtung erhob, ist erwähnt worden, sie war aber durchaus ohnmächtig. Dagegen schrieben in Königsberg Kant, in Göttingen Lichtenberg, am Rhein Georg Forster, drei der bedeutendsten Nahmen in der Geschichte unserer Literatur. In der Nähe von Weimar, wo die Hauptführer der neuen Richtungen, zuletzt auch Schiller, zusammentraten, in Gotha, herrschte ein ganz anderer Geschmack, der sich mit der Eifersucht der Leipziger verband. Die Hauptfeinde jedoch fanden sich in Berlin zusammen, und mit ihnen standen die andern alle in Verbindung.

Als Haupt der Berliner galten Nicolai und Erich Biester, jener Herausgeber der allgemeinen deutschen Bibliothek, dieser Begründer der Berliner Monatschrift; außerdem wirkte vorzüglich Engel in ihrem Sinne. Wir haben oben gesehen, wie sich Hamann mit seinen frühern Freunden, Nicolai und Mendelsohn, verfeindete. Die Fehde Jacobi's mit Mendelsohn, an der Hamann eifrigen Antheil nahm, goß neues Dehl ins Feuer. Nicolai, Mendelsohn, Engel, Rammler waren Lessings persönliche Freunde gewesen, und die Berliner liebten es, sich als die Schule Lessings hervorzuheben, was in gewissem Sinne richtig war, da sie alle sich an Lessing emporgehoben hatten. Nach seinem Tode nun trat der bis dahin ziemlich unbekannte Jacobi auf und gab zu verstehen, daß er ein weit vertrauterer Freund Lessings gewesen sey als die Berliner; er kam darüber in einen Briefwechsel mit Mendelsohn, welcher eine Charakterschilderung Lessings herausgeben wollte. Diesen Briefwechsel veröffentlichte er plöhlich, ohne daß Mendelsohn etwas davon wußte. Der lettere, ohnedies kränklich, starb plöhlich, und seine Berliner Freunde gaben Jacobi'n Schuld an diesem Tode.

Diesen Kampf fochten besonders Engel und Morih aus. Ein anderer kam dazu. In den Jahren 1784-1786 erschienen in der Berliner Monatschrift Aufsähe, worin behauptet wurde, daß der aufgehobene Jesuitenorden nicht nur immer fortbestehe, sondern auch in verschiedenen Formen zu Gunsten der katholischen Hierarchie wirke und werbe, und zugleich wurden mehrere pro

testantische Geistliche als heimliche Katholiken angegeben, nah mentlich auch auf Lavaters Treiben hingewiesen und auf seinen Zusammenhang mit allen Wunderthätern, Teufelsbannern und offenbaren Betrügern wie Cagliostro. Und hiermit begann der lange Jahre fortgeführte Streit über geheimen Jesuitismus und Katholicismus, woran auf der einen Seite Nicolai und Bie- . ster mit ihrem Anhange, auf der andern Seite Jacobi, Lavater, Schlosser, Claudius, Pfeffel (in Fabeln) den heftigsten Antheil nahmen. Und auch in diesen Streit mischte Jacobi wieder Lessing ein, indem er thöricht genug sich des durchaus schlechten und nichtswürdigen Stark annahm und ihn mit Lessing zusammenstellte, ein Beweis, daß er allerdings nicht werth war, sich Lessings Freund zu nennen.

́ Besonders durch diesen Streit sind die Berliner als seichte, geistlose Menschen, als alberne Jesuitenriecher, in übeln Ruf ge= kommen, und doch hat die Folgezeit gelehrt, daß ihr nüchterner Blick sie hier sehr richtig geführt hat. Das Aergerliche war, daß Lessing, der im Leben nichts mehr gehaßt als Sekten- und Partheienwesen, sich im Tode mußte gefallen lassen, von zwei feindlichen Partheien als Haupt aufgerufen zu werden. Es kann dies aber als ein prophetisches Hinweisen auf die große Bedentung Lessings angesehen werden; denn seit jener Zeit ist fast kein Kampf auf geistigem Gebiete gefochten worden, wo nicht sein Nahme wäre genannt worden.

Den Berlinern galt aber Lessing auch als Dichter über alles, und daher mußte ihnen das kühne Auftreten des jüngern Dichtergeschlechts zuwider seyn, dies um so mehr, da der Wortführer der Genialen, Schlosser, fich sehr geringschäßend über Lessing als Kritiker und als dramatischen Dichter aussprach *). Sie warfen daher allen neuen Richtungen, die ihnen mit dem gesunden Menschenverstande nicht übereinzustimmen schienen, den Fehdes handschuh hin: sie befeindeten die Empfindsamkeit, den Sturm und Drang und das Geniewesen, die Physionomik, die Philantropie und den Erziehungseifer, die geheimen Bünde, die Geister

*) Prinz Tandi an den Verfasser des neuen Menoza (Lenz). Lpz. 1776. Jeßt im zweiten Bande von Schloffers kleinen Schriften.

seherei und den Wunderglauben, die Schlüpfrigkeit und Gefinè nungslosigkeit der Wieland'schen Poefte wie die Deutschheit und Ueberschwenglichkeit der Göttinger, und hierbei warfen fie allerdings Dinge untereinander, die nur einen zufälligen Zusammenhang hatten. Weil die Wortführer des neuen Geschlechts überall von Eingebung und Gefühl redeten, verdammten sie beides als hohle Worte und wollten überall nichts anerkennen als Vers stand und Einsicht; und nahmentlich war ihnen die Annahme einer dämonischen Macht im Menschen ein Greuel. Troßdem muß man Biester als einen bedeutendeu Kopf anerkennen, wiewohl in einem bestimmten Kreise, und eine Sammlung seiner wichtigsten Aufsätze in der Berliner Monatschrift und anderwärts würde ein richtigeres Urtheil über ihn feststellen, als man gewöhnlich hört, und nahmentlich beweisen, daß seine Prosa schon ihm einen Plah in der Reihe unserer besten Schriftsteller geben muß. Daß überhaupt ein Unternehmen, an welchem Männer wie Kant, Forster und Möser Theil nahmen, kein seichtes seyn konnte, ergiebt sich von selbst.

Zu der Misstimmung, die allgemein gegen den Berliner Verstandeshochmuth sich äußerte, trug der sonderbare Einfall des alten Königs Friedrich mit bei, auch ein öffentliches Wort über deutsche Literatur zu sprechen. Man war längst daran gewöhnt, daß er mit Berachtung auf dieselbe blicke, aber im Jahre 1780 ließ er ein Schreiben an seinen Minister Herzberg drucken: De la littérature Allemande, des défauts qu'on peut lui reprocher, quelles en sont les causes, et par quels moyens on peut les corriger *), und hier giebt er denn Rathschläge, wie der halbbarbarischen Sprache, der Poesie und den Wissenschaften in Deutschland aufzuhelfen sey. Er erkennt nur fünf leidliche Schriftsteller an: Gellert, Geßner, einen Prof. Quant von Königsberg, den Geschichtschreiber Maskau und Nicolaus Göz **); man sieht also, welchen Gang unsere Literatur würde

*) Es ift_mehrmals ins Deutsche überseßt worden, unter andern von L. Meifter. Zürich 1781.

**) Dessen Nahmen er jedoch nicht kannte. Er hatte nur ein einziges Gedicht von ihm gelesen (die Mädcheninsel), welches Freunde der deutschen Poesie für ihn besonders abdrucken ließen. Dabei ergiebt

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