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bloß den poetischen Leib erwartet; er mußte sich diesen Stoff erst von allen Seiten her zusammensuchen, ließ dabei den Zufall walten und war nicht immer glücklich in der Auswahl. Die Art aber, wie er das Gefundene zurechtlegte und mit neuen Motiven versah, wird man nur billigen können, da er immer den deutschen Geschmack traf, wobei ihm denn sehr zu statten kam, daß er Sitte, Glauben, Anschauungs- und Ausdrucksweise des Volkes so genau kannte, wie schwerlich ein anderer Dichter, eine Bekanntschaft, die mit seiner Stellung als Amtmann auf dem Lande jedenfalls zusammenhieng. Auch in der Lyrik standen ihm keine großen Thatsachen und allgemeine Angelegenheiten zu Gebote, deren Volksherold er hätte werden können, doch ist er auch hier ächter Volksmund und Dolmetscher der Zeit in Liedern wie: „Der Bauer an seinen Tyrannen der große Mann Männerkeuschheit." In den meisten Gedichten hingegen, welche die Liebe zum Gegenstande haben, ist der Gegenstand, seine unselige Leidenschaft, zu persönlich und eigenthümlich, als daß sie für Volksdichtung gelten könnten; es liegen hier keine gemeinsamen Gefühle, Empfindungen zu Grunde, sondern nur das fürchtbare Verhängnis eines Einzelnen, der noch dazu sehr unmännlich erscheint. Im Sinne jener Zeit war das allers dings Naturpoeste, da hier nichts Gemachtes vorlag, sondern das Tiefstempfundene. Nie war der Nothdrang und Sturm der Leidenschaft in so greller Unmittelbarkeit hervorgetreten; und dies konnte nicht anders seyn, da Bürger nicht, wie es der Dichter soll, gewaltige Erinnerungen festhielt, sondern im Strome der Leidenschaft, noch ganz befangen in seinem Zustande, sich aussprach. Hier mußte ihm dann auch seine Kunst als Sänger zu Hülfe kommen, und diese war es überhaupt, die ihm so großen Beifall brachte. Was Klopstock von Klang, Tonausdruck und Bewegung gelehrt und gesagt, Herder von Colorit und Machtworten geredet, Göthe und Mahler Müller in ihren Hymnen und lyrischen Rhapsodien versucht hatten: diesem ganzen dunkeln Streben gab Bürger eine klare, verständige, durchaus deutsche Richtung. Er wußte die Mittel der Sprache auf eine solche Weise anzuwenden und so tief in die Goldgrube derselben hinabzusteigen, daß er die Stimmung des Hörers unaufhaltsam,

wiewohl nie gewaltthätig, fortreißt. Wir rechnen hierher schon die Raschheit der Darstellung, dann die innere und äußere Musik der Sprache, des Vers- und Strophenbaues, das Anschmiegen des Klanges an den Inhalt, den Gebrauch der Binnen- und Stabreime, die Verbindung der größten Klarheit mit der größe ten Fülle und Feierlichkeit. Bürger glaubte wohl so gut als die ganze damalige Zeit an ein ehemaliges germanisches Bar= denwesen; allein als Dichter wollte er nichts damit zu thun haben; er wählte weder das Urgermanenthum jemals zum Gegenstand feiner Poesie, noch hat er je solche Verse gemacht, die weder ein bestimmtes Maß noch eine Verknüpfung durch den Reim gehabt hätten: Verse, wie sie Klopstock aufbrachte, Stolberg, Göthe, Herder und Müller diesem nachbildeten. Er hielt sich an das Ohr des lebenden Geschlechts und traf gerade den ältesten Ton der deutschen Poefte in solchen Zeilen wie: Sie riß sich zusammen, sie raffte sich auf,

Sie rannte verzweifelnd von hinnen

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weit besser als alle Barden. So machte er auch keine Oden voll Bardenzoru gegen die Franzosen, allein als ächter Volksdichter greift er das Franzosenwesen von einer Seite an, wie es der Nation dazumal am lästigsten war:

Franzöf'sche Raubmarquis,

Die man zur Ferne kommen ließ *).

Auch für die Fortbildung des Verses ist Bürger von der höchsten Bedeutung, und es ist sonderbar, daß dieses Verdienst des Mannes noch nie hervorgehoben worden ist. Bom Hera= meter wollte er nichts wissen und übersehte sogar den Homer in Jamben; eben so wenig aber wollte er Göthe's Knittelverse sich aneignen; dagegen ist er der Erfinder und Begründer desjenigen Verses, den wir vorzugsweise den Balladenvers nennen können, und der darin besteht, daß die Zeilen bloß nach Hebungen ge=

*) Zu Ende des Raubgrafen. Auch dieses vortreffliche Gedicht ist oft genug als platte Schnurre ohne poetischen Werth ausgegeben wors den. Es findet sich aber darin eine so treue Spiegelung der ächten Volksauffassung des Volksaberglaubens und der Volksrede, daß nur Hebel hier neben Bürger zu nennen ift.

Gözinger Lit.

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messen und regelmäßige Füße verschmäht werden. Er brachte ihn zuerst in Lenardo und Blandina, später in Untreue über Alles, im Lied von Untreue, im Kaiser und Abt, in des Pfarrers Tochter von Taubenhain und andern Gedichten. Auch hier traf er die Natur edler Volksdichtung mit richtigem Gefühle,

Bürger läßt sich in der Entwickelung der deutschen Sprache und Literatur mit Leffing vergleichen, Leffing war der Schöpfer der reinsten, kräftigsten und beredtesten Prosa, Bürger der Schöpfer der reinsten, kräftigsten und raschesten Dichtersprache, Beide zeigten, wie man persönlichen Charakter des Styls und Bewahrung der reinen allgemeinen Sprache perbinden könne; Lessing gab zuerst wieder rein deutsche Dramen, Bürger rein deutsche Gedichte epischer Art. Beide waren aber als Dichter nicht fruchtbar, Wäre Bürger das gewesen, was bei seiner äußern Lage unmöglich war; hätte er überhaupt mehr Festigkeit und weniger Leichtsinn bewiesen: so würde er nicht nur der Volksdichter seiner Zeit gewesen seyn, sondern auch auf den Gang der Poefte mehr Einfluß gehabt haben. Der Vorwurf, daß er das Volk bisweilen mit dem Pöbel verwechselt habe und gemein geworden sey anstatt volksmäßig, ist nicht unbegründet; allein betrachtet mau diese Seite historisch, so erscheint Bürgers Gemeinheit in mildem Lichte; gegen Lenz und Klinger, nahmentlich gegen den lehtern, ist er stets edel und unbefangen; der Schmuh jener Zeit klebte an ihm, aber im Ganzen waren die Stunden der Dichtung seine edelsten und reinsten. Daß er sich in Stoffen vergriff oder im Einzelnen rohe Ausdrücke wählte anstatt träftiger, beweist nur denselben Irrthum, in welchem Göthe nach einer andern Richtung verfiel, als er sich der Incorrectheit geftissentlich ergab. Uebrigens war Bürger auch als Prosaiker außerordentlich beliebt seiner gediegenen Kraftsprache wegen; schwerlich wird man aber jezt noch an diesen im Balladenstyl gehaltenen Abhandlungen großes Gefallen finden, allers dings aber die klarste Anlage zum eigentlichen Volksredner in ihnen finden.

S. 115.

Hölt und Miller.

Weder Claudius noch Bürger waren Mitglieder des Götz tinger Bundes, standen aber in persönlicher Beziehung zu den Mitgliedern desselben und hatten auf einzelne großen Einfluß. Am reinsten stellt uns Ludwig Heinrich Christoph Hölty (geb. 1748) die Bestrebungen des Bundes dar, da er schon 1776 starb, ehe die verschiedenen Charaktere sich trennten. Er ist es auch, der neben Claudius und Bürger sich unverrückt in der Liebe der Nation erhalten hat und verdient dies auch, da er nicht nur einer der süßesten und wohlklingendsten Dichter in deutscher Sprache ist, sondern auch Heiterkeit und Wehmuth sich auf wunderbare Weise in ihm verschmelzen. Von ihm und Martin Miller sang Voß *) sehr wahr:

Schon singt euren Gesang rosiger Mädchen Mund,
Dort in Harf und Klavier, dork in des Buchenhains
Froh antwortendem Nachhall,

Durch die Stille der Abendluft.

Schon, schon singen mit euch Jünglinge deutscher Art;
Frohsinn tönt der Gesang, Kraft und Entschlossenheit.
Selbst ausruhende Männer

Stimmen gern in das Tafellied.

Joh. Martin Miller (1750 — 1814) stand unter Hölty, sehe man nun auf Begabung an sich oder auf Fleiß und Ausführung. Er war durch den Wetteifer in Göttingen zu einer ungeheuern Fruchtbarkeit angetrieben worden; denn die 158 Gedichte, welche die Sammlung von 1783 enthält, sind fast sämmts lich zwischen 1771 und 1776 entstanden, und davon fallen 110 auf die beiden Jahre 72 und 73, also in die Blüte des Bundes. Zurückgekehrt in seine Vaterstadt Ulm, wo er später Professor wurde, schüttelte er bald alle Kunst von sich ab und schrieb moralisch-empfindsame Romane, unter welchen der erste, Siegwart, einen außerordentlichen Ruf erhielt, so daß Wieland * Der deutsche Gesang.

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verdrießlich an Merk *) schrieb, man müsse diesem Herrn Miller das poetische Feld überlassen, „der eigentlich der wahre Messias für die lieben Deutschen ist, der Mann, auf den sie geharret hatten und dem nun, da er gekommen ist, alles Volk nach: »läuft, ihm, indem er so sanftmüthig auf seiner Eselin einher»reitet, Palmen und Liebesbriefe unterstreut und Hosiannah in „der Höhe ruft." In der That stellt Siegwart die thränenselige, empfindelnde Richtung der Zeit so einseitig dar, wie Klingers Dramenfabrik die troķige, ungebehrdige. Allein Wieland hätte doch besser gethan, zu untersuchen, woher denn eigents lich die Theilnahme kam, welche Millers Schriften fanden, sogar bei Männern fanden wie Justus Möser. Wir haben oben ge: sagt, daß Klinger, troh seiner Kraftgebehrden, doch nicht über Geßner hinausgeht; dies ist aber bei Miller ganz anders; er hat allerdings auch das Elegisch-Idyllische Geßners; allein man fand hier deutsche Sitten, deutsche Nahmen, deutsche Sprache, deutsche Zustände. Der Verfasser zeigte ein großes Talent für Ausführlichkeit und Entwickelung, und hätte er die Welt in ihrer Mannigfaltigkeit gekannt und mehr Bildung gehabt (dieser Mangel zeigt sich überall) so würde er vortreffliche Schriften geliefert haben. - Weltkenntnis und Bildung war aber dem Dichter nach den Naturtheorien jener Zeit nicht nur unnöthig, sondern sogar gefährlich, da beides den reinen Erguß des Herzens störe und den Flug der Phantaste hemme. Miller war ein sehr ruhiger, nüchterner, besonnener Maun **), das Zeitalter drängte ihm das Weichliche, Zerfließende auf; er wollte das Glatte, Elegante, Undeutsche und Gelehrte Wielands vermeiden, verfiel aber dabei unrettbar ins Platte.

S. 116.
Stolberg.

Wie bei Miller, so fand sich auch bei seinem Freunde Stol: berg ein Zwiespalt von Bedeutung zwischen Zeitrichtung und anerborenem Talente. Miller, der ruhige, besonnene Mann,

*) Briefe an Mert. I. S. 246.

**) Man vergl. den Auffaß „Joh. Martin Miller" in den Zeitgenossen, Seft XIV.

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