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begeistert wird, ist fest überzeugt, daß die ganze Nation eben so urtheilen würde, und übergiebt derselben auch seine Ansprachen. Und so entsteht ein unübersehbares Heer von Leuten, die sich zu Dichtern, Schriftstellern und Rednern zählen, ohne es doch ei= gentlich zu seyn. Dies macht nun aber eine Darstellung der neuern Literatur so schwierig. Die Verhältnisse sind nicht mehr einfach und natürlich, die llebersicht ist fast unmöglich, und an eine ruhige Entwickelung ist nicht zu denken. Hierzu kommt, daß in der deutschen Literatur, wie mehr oder weniger in allen neuern, gar feine einfache, rein nationale Entwickelung stattge= funden hat, sondern Einflüsse von außen sich immerwährend geltend machen, weshalb denn bisweilen pvetische Bestrebungen erscheinen, die gewissermaßen der gelehrten Literatur angehören, so wie überhaupt vieles erzeugt und gepflegt worden ist, was bei einem natürlichen, ungehemmten Gange der Cultur gar nicht erschienen oder doch in ganz andrer Art zur Reife gediehen wäre.

Diejenigen, welche alle Literatur in Fachliteratur und Unterhaltungsliteratur theilen, also in solche, die nur ein bestinimtes Fach des Lernens und Wissens umschließt, und solche, die nur der Erheiterung und allgemeinen Bildung dient

diese sind allerdings leicht fertig, und für die Mehrzahl derer, die überhaupt einen Wegweiser in diesem Bereiche suchen, ist die Eintheilung ganz erwünscht; an sich aber ist sie durchaus nichtig. Dieser Ansicht zufolge gehört alle Poesie der Unterhaltungsliteratur an; wie unwürdig ist es aber, Geister wie Dante, Shakespeare, Lessing, Göthe, Schiller aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten! Aristoteles erklärt das Studium der Poesie für bildender selbst, als das der Geschichte, weil jene mehr Wahrheit enthalte als diese ein Sah, der demjenigen freilich als Thorheit und Unsinn erscheinen muß, der in aller Poesie nichts sieht und sucht als eine unterhaltende Lecture. Uebrigens kann ja manches einem bestimmten Fache angehören, und keineswegs bloß für den Mann des Faches ge= schrieben sein, sondern ins Leben der Nation zu dringen suchen. Wohin gehören denn z. B. Justus Mösers staatswissenschaft. liche und staatswirthschaftliche Betrachtungen in seinen Phantafieen? Zur Fachliteratur nicht, aber hoffentlich doch auch nicht

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Fortwachsen und Wandelung des poetischen Schaffens schildert, sondern nachweist, was von jeher in jeder Art der Darstellung Wirksames oder Vortreffliches erstrebt und geleistet worden ist. Dort betrachtet man also die Literatur in ihrem Werden, hier in ihrem Vorhanden seyn, dort von einem historischen, hier von einem ästhetischen Standpunkte. Verfolgt man einen Weg ganz einseitig, so hat dies große Bedenklichkeiten; denn bei überwiegendem, historischem Interesse geht die poetische Befriedigung und der Sinn für das Schöne in der Poesie, das doch nur in einzelnen Schöpfungen einzelner Dichter erscheint, oft ganz verloren, und bei rein ästhetischer Würdigung verliert man allen Zusammenhang der Literatur aus den Augen, und hält die zu einer bestimmten Zeit vorhandene Poesie für die einzig wahre.

Bei der Betrachtung der werdenden Literatur, also auf dem geschichtlichen Standpunkte, geht man in neuerer Zeit von dem Gedanken aus, das poetische Schaffen hange auf's innigste zusammen mit dem Schicksale der Nation und spiegele daneben das geistige Leben des Volkes treu ab, so daß dadurch die Neis gungen und Zustände, Bestrebungen und Ueberzeugungen jeder Periode zu Tage kämen. Diese Ansicht hat jedenfalls viel Wah res; allein auf die Spite getrieben, verführt sie zu einer Menge Irrthümern und verleitet durch scheinbare Folgerichtigkeit zu ganz falschen Urtheilen. Allerdings müssen die äußern Schicksale eines Volkes und der Zustand der Gesellschaft eine bedeutende Rückwirkung äußern auf den Ton, den Werth und den Inhalt der Poesie und der ihr verwandten Literatur, jedoch nie in der Art, daß mit der politischen Blüte eines Volkes auch seine Poesie und Literatur nothwendig am höchsten stände, und mit dem Verfalle des Staates und der bürgerlichen Verhältnisse auch seine Poesie sich auflöse und zerfalle. Dem widersprechen viele Erfahrungen. Gerade unsere eigne Literatur zeigt, wie sich die Poesie am höchsten heben kann, während die Nation äußerlich am tiefsten erniedrigt ist; fand hier eine unmittelbare Wirkung statt zwischen Poesie und Literatur auf der einen Seite, den Schicksalen des Volkes und der Verwandlung seiner Ueberzeugungen und Gesinnungen auf der andern, so gieng diese Wirkung eher von der Poesie aus. Die großen Träger der

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Dichtung, die Schöpfer in Kunst und Wissenschaft, entstehen und wachsen, ohne daß man es begreift und ihr Werden und Blühen aus äußern Umständen erklären könnte. Sie sind allerdings von den Zeitverhältnissen abhängig, aber sie beherrschten und bildeten oft im Gegentheil auch ihre Zeit, oder halfen eine ganz neue vorbereiten und schaffen. Wenn wir schon in der politischen Geschichte keineswegs alles von Verhältnissen und Verhängnissen ableiten dürfen, sondern zugeben müssen, daß große Männer und Helden auch selbstthätig in den Gang der Ereignisse eingreifen, anters ausgedrückt wenn wir in der Geschichte neben den allgemeinen Schicksalen und Verhängnissen auch noch Persönlichkeiten anzuerkennen haben, die nicht bloß durch die Ge schichte entstanden, sondern umgekehrt einen Abschnitt der Geschichte vielleicht nur eine Episode hervorrufen so findet dies noch weit mehr in der Geschichte der Poesie und Literatur statt, da sich hier die meisten Epochen an außerordent. liche, hervorragende Persönlichkeiten knüpfen, die eine längere oder kürzere Zeit als Gesetzgeber gelten und ganzen Perioden Ihren Charakter einprägen, der mit dem politischen Zustande der Nation oft wenig zu thun hat. Sagte man: das solle eben nicht so seyn so wäre dies ein thörichtes Sagen, da jede Geschichte die Thatsachen zu überliefern hat, wie sie sind, und nicht wie sie seyn sollten. Uebrigens tauchen in der Literatur Erscheinungen auf, die gewissermaßen der Geschichte derselben gar nicht angehören, da sie sich weder auf Vergangenes stüßen, noch auf den Gang der Literatur einwirken, die aber doch auch ein Recht der Eristenz haben, da sie bisweilen zu den Vortrefflichsten gehören, die etwas geschaffen haben vereinsamte Ta. lente, die derjenige, welcher alle Poesie nur in streng geschichts licher Entwicklung beachtet, völlig bei Seite lassen kann und muß. Schriftsteller wie Hebel, Usteri, Ulrich Hegner, Karl Lappe, selbst Musäus, haben für die Geschichte der Poesie keinen bedeutenden Werth, einen weit geringern als die Dichter der sogenannten Sturm- und Drangperiode, wie Heinse und Klinger, oder als viele Dichter der romantischen Schule, wie Fouqué und ähnliche. Allein für den Freund und Kenner der Poesie, der nicht Geschichte studieren, sondern sich an den

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Schöpfungen des gestaltenden Geistes erheitern, bilden, erheben will, haben jene Schriftsteller einen unendlich hohen Werth, während er die geschichtlich bedeutendern ganz unbeachtet läßt. Jede Dichtung ist eine That im Reiche des geistigen Schaffens ; der Literator fragt nun zuerst: wie entstant diese That, wie hängt sie mit den Bestrebungen der Zeit zusammen, inwiefern wirkte sie auf spätere Bestrebungen? Der Freund der Poesie läßt alles dies beiseit und fragt nur: ist die That schön, und ist sie es werth, daß ich sie näher kennen lerne?

Allein ein wahres Verständnis der Poesie und Literatur ist ohne geschichtlichen Zusammenhang und ohne Kenntnis der jedesmaligen Zeit nicht möglich; und so thut auch jeder Freund der Poesie gut, sich eine solche historische Kenntnis zu verschaffen. Jede Poesie schildert, bewußt oder unbewußt, ihre Zeit, nimmt Bilder, Gesinnungen, Ansichten aus der Zeit oder strebt gegen diese an, hängt überhaupt mit tausend Fäden an ihrer Gegenwart. Wer bei Betrachtung der Poesie bloß den Maßstab, und den Geschmack eines Jahrzehends anlegt, wird die Erzeugnisse früherer oder späterer Zeiten gar nicht genießen können, da ihn eine Menge Eigenthümlichkeiten stören, hier ein ihm ungewohn. tes Bild, dort eine nicht mehr gangbare Sprachform. Derglei chen einseitige Betrachtungen schwinden bald, wenn man die poe-. tischen Bestrebungen längerer Perioden ins Auge faßt, und überdies ist das historische Studium der Poesie das geeignetste Mittel, jede Zeit in ihrer geistigen Ausbildung kennen zu lernen und zugleich eine Einsicht in die Entwickelung der Sprache zu bekommen. Eine Geschichte der Literatur kann und soll es ba her nicht vermeiden, Blicke zu werfen auf den jedesmaligen Zu stand der Nation, der Gesellschaft, der Wissenschaften, der Künste, der Kirche, der Sprache, indem manche Erscheinungen der Poesie nur dadurch erklärbar sind. Ganz unnöthig aber scheint es, wenn in der äußern, politischen Geschichte eines Volkes, oder gar in der Weltgeschichte, wie dies jeht anfängt Mode zu wer den, besondere Abschnitte der Poesie und Literatur gewidmet sind. Denn wenn die äußere Geschichte allein bisweilen die Art und den Inhalt der Poesie erklärt, sv kann doch nie die Poesie eine Erklärung der äußern Geschichte, der Zeitbegebenheiten seyn;

daher fägen sich denn auch jene Kapitel über Poesie und Literatur nie recht in den übrigen Gang solcher Bücher, sondern stehen nur als ganz unverbundene Anhängsel da; dies um so mehr, da ein tüchtiger Geschichtsforscher oft ein sehr schwacher Kenner und Beurtheiler der Literatur ist.

Eben so kann nicht zugegeben werden, daß sich in Poesie und Literatur der Glaube, die Gesinnungen der Bestrebungen jeder Epoche aussprächen, und daher die Literatur der untrügliche Spiegel zur Kenntnis einer ganzen Nation sey. Geht man bloß vom ästhetischen Standpunkte aus, so enthält die Ansicht große Wahrheit; denn die größten Dichter und Schriftsteller eines Volkes werden das Wesen, die Gesinnung, die Gefühle, die Neigungen desselben am reinsten aussprechen; in ihren Werken wird das Schöne und Große am Geiste der Nation, eben so ihre Mängel und Schwächen am kräftigsten erscheinen. Die oben genannten Dichter: Hebel, Usteri, Hegner, Lappe, Mu« fäns sind insofern ganz charakteristisch, als sie durch und durch deutsches Wesen und deutsche Art darstellen. Meint man aber, daß in jeder Epoche die gerade herrschende Poesie auch die in der Nation allgemein herrschenden Ansichten vertrete, so ist dies eine Ungereimtheit; denn es hat zu jeder Zeit einzelne Männer und ganze Schulen gegeben, die keck und bestimmt Gesinnungen und Gefühle aussprachen, welche mit der wahren Gesinnung der Nation in völligem Zwiespalt lagen, und daher auch gar keinen Eindruck machten; es erscheinen Bestrebungen von Zeit zu Zeit, die gar nicht im Geiste des Volkes wurzeln, sondern aus gelehrten Studien und ästhetischen Liebhabereien hervorgehen; es find endlich Zeiten dagewesen, wo die Nation sich gar nicht um die bestehende freilich schlechte - Poesie kümmerte, und diese ein ganz für sich bestehendes Scheinleben darstellte.

Ueberhaupt haben jene Ansichten nur in so weit Geltung, als von Tendenzen der Literatur die Rede ist, also in Bezug auf den darin niedergelegten Inhalt. Allein in der Poesie ist ja die Form und Auffassungsweise von bedeutendem Gewichte, und hier geht dann die Literatur ihren ganz eignen Weg und hångt weder mit den Schicksalen, noch mit den Ansichten der Nation eng zusammen. Denn wie soll es mit der Lage und den

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