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dritte Buch vollendet; das Ganze erschien 1794 — 1796). Er eroberte sich aber einen bestimmten Styl voll Ruhe, Klarheit und milder Schönheit, einen Styl, dem er im Wesentlichen sein ganzes Leben lang treu geblieben ist.

§. 107.

Göthe's Jugendfreunde.

Zu senen Freunden und Genossen aus der Straßburger und Frankfurter Zeit gehörten befonders: Heinrich Leopold Wag= ner von Straßburg (1747-1779), Michael Reinhold Lenz aus Liefland (1750 — 1792) *) und Franz Marimilian Klinger von Frankfurt (1750-1825). Alle drei kamen in der Ansicht überein: Ungebehrdiges Benehmen sey Kraft, Kraft aber Schönheit, und jede Erscheinung werde dadurch schön, daß sie Leidenschaft verrathe.

Wagner ist durchaus blinder Nachahmer. Er ward bes sonders durch ein Trauerspiel „die Kindsmörderin« bekannt, wovon er die Idee Göthen abgelauscht hatte, dessen Vorhaben mit Faust ihm bekannt war. Sein unvollendeter Roman: „Leben und Tod Sebastian Silligs" ist rohe Nachahmung Sterne'scher Manier. Weit begabter war Lenz; man kann ihm wahrhaftes Genie schwerlich absprechen, aber dieses zeigt sich in einem beschränkten und höchst unheimlichen Kreise, dem sich die Poesie gern entzieht, so daß die Verdorbenheit des Naturells uns zur Berachtung nöthigt, während wir die durchsichtige Darstellung des Gegenstandes bewundern. Lenz hegt mit Vorliebe die Gabe, das Thierische und Unedte der menschlichen Natur zu erschauen und spiegelt nun diese seinem Naturell gemäße Seite des Menschenlebens zum Erschrecken wieder. Dabei geht diesem Dichter aller künstlerische Verstand ab, sey es nun, daß ihm wirklich jedes Geschick gebrach, oder daß falsche Grundfäße ihn leiteten, oder daß er Fleiß und Enthaltsamkeit scheute. Jedenfalls zeigt Lenz deutlich, daß der Grundsah: „alle Regel sey Unsinn“ eine Thorheit war; der große schaffende Geist, das gesunde Genie

*) Er war als Hofmeister einiger jungen Edelleute aus Liefland mit nach Straßburg gekommen.

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findet, wie Lessing behauptet, den Mittelpunkt von selbst, bei andern unkünstlerischen Köpfen muß die äußere gegebene Regel der Willkühr Schranken sehen. Zufolge seines verdorbenen Naturells tritt uns bei Lenz das Unmenschliche, Thörichte, Abgeschmackte, Frevelhafte, Uebermüthige, Bestialische grell entgegen, und er meint noch, etwas Rechtes gethan zu haben, wenn er uns diese platte und gräßliche Wirklichkeit, die durch keinen höchsten Standpunkt geadelt und gehoben ist, getreulich vorführt. Zufolge seines unkünstlerischen Kopfes fehlt den meisten seiner Sachen alle Einheit; ohne allen Zusammenhang ist das Bunteste und Entlegenste aneinander gereiht und alles nur fragmentarisch ausgeführt. Das Wesen Göthe's wird hier zur Fraße, mögen wir nun dessen Richtung auf die Wirklichkeit oder seine Neigung zur ungebundenen Form betrachten. So verzerrte Lenz auch Herders Ansichten bis zum Widersinnigen in seinen Anmerkungen über das deutsche Theater, wobei er sich die Miene gab, als habe er alles das zuerst gefunden und gesagt. Hatte Herder voreilig genug erklärt: die verschiedenen Gattungen des Drama's seyen eine nichtige leere Erfindung: so erklärte nun Lenz geradezu: der Gegenstand des Drama's sey gar keine Handlung, sondern nur Charakterdarstellung, und um wirksam zu feyn, müsse man eine ganze Reihe von Handlungen zusammenknüpfen, die sich wie Donnerschläge auf einander folgten. Hatte Herder mit vollem Recht das falsche Idealisieren getadelt, so erklärte nun Lenz: alles Ideal sey Abgeschmacktheit; das Charakteristische stehe an sich weit höher als jedes Ideal, der Carrikaturmahler nehme daher einen höhern Rang ein als ein Raphael. Es waren besonders drei Comödien, welche Lenzens Nahmen bekannt machten: Der Hofmeister, der neue Menoza, die Soldaten, und wirklich sind hier die carrikaturartigen Personen die gelungensten, und alle drei Stücke können als Carrikaturen auf die Menschheit gelten, so wie sie auch von Seiten der Kunst Carrikaturen des Drama's find, da jede dramatische Gliederung hier geflissentlich vermieden ist. Wie in Bezug auf Gegenstände, Verhältnisse und Charaktere, so scheint auch in Bezug auf den Ausdruck der Hauptgrundsah des Dichters der gewesen zu seyn: Suche nur stets das Gemeinste und Roheste, und du findest das Rechte,

d. h. das Wirksame. Uebrigens gieng dieser Schriftsteller wie ein Gestirn am literarischen Himmel auf und verschwand wieder. Er verfiel in Wahnsinn, wovon seine Schauspiele schon Spuren zeigten, und nach seiner Wiederherstellung kehrte er nach Rußland zurück und ließ nichts weiter von sich hören.

Sehen wir nun bei Lenz individuelle Gemählde gewisser Stände und Verhältnisse, deren Vergegenwärtigung uns aber bloß peinlich berührt, und einzelne Züge, die der Natur glücks lich abgelauscht und in festen Umrissen verzeichnet sind: so finden wir bei Klinger ein Verschwinden aller und jeder Poeste. Lenz nimmt die zufällig aufgefaßte Wirklichkeit in platten und gräßs lichen Bruchstücken zum Gegenstande und hat nicht die Kraft oder den Verstand, diese Bruchstücke in ein gerundetes Ganzes zu bringen; Klinger zeigt im Kleinen wie im Großen ein blödes Auge und bei allem Pochen auf Kraft die jämmerlichste Ohnmacht, das Geringste zu zeichnen und zu runden. Er war der Sohn eines armen Holzhackers, ward durch Unterstüßung und eigenen Ehrgeiz gehoben, hegte aber einen stolzen Unmuth gegen den Gang der Welt und tobte diesen in Schauspielen aus. Er haßte nicht nur die Welt als ein Narrenhaus, nicht bloß die Menschen als Lumpengesindel, sondern auch die Poesie selbst; nahmentlich waren ihm Verse, Styl, künstlerische Anordnung, poetisches Maßhalten nicht bloß unnöthige Dinge, sondern geradezu Zeichen eines Schwachkopfs. In seinem abgeschmackten Schauspiele, Simsone Grijaldo“ läßt er den Bastiano sagen: „ „Wir „find da, die Schäden einzurichten, woran die Welt durch garstige »Uebereinkommungen krank liegt," und diese Meinung hegte er denn von seiner eigenen Bestimmung. In seinen ersten Stücken (das leidende Weib Otto), die er 1775 als Gießener Student herausgab, sieht man noch ganz den Nachahmer Lenzens und Göthe's; 1776 ward er Theaterdichter bei der Sailerschen Gesellschaft und bewies seinen Anspruch auf den Nahmen eines Genies durch seine außerordentliche Fruchtbarkeit, da er in diesem Jahre vier Schauspiele schrieb: die Zwillinge die neue Arria Simsone Grisaldo - Sturm und Drang *).

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* In der Uebersicht §. 96 ist bei diesen Schauspielen die Zeit ihrer Beröffentlichung durch den Drud angegeben.

Götzinger Lit.

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Durch die Zwillinge machte er das größte Aufsehen. Man war nehmlich auch auf dem Theater müde geworden, sich an den kalten, regelmäßigen Stücken nach französischem Zuschnitt zu langweilen und wünschte mehr Handlung, mehr Kraft und eine mehr unmittelbare Wirkung. Der berühmte Friedrich Ludwig Schröder in Hamburg, der sich durch Bearbeitung englischer Stücke sehr verdient machte und auch Shakespeare's Dra men zuerst auf die Bühne brachte, hatte einen Preis auf ein Trauerspiel in Prosa geseht, das keinen Aufwand an Kleidern und Personen bedürfe; Klinger, der sich unter die Mitbewerber stellte, mußte sich also zusammennehmen und die Manier des Göh, wo ewig die Scene wechselt und eine Unzahl Personen auftritt, vermeiden, sich auch hüten, in Lenzens Gemeinheiten zu verfallen, da die Preisrichter verlangt hatten, daß der Inhalt nicht unfittlich sey. So entstanden die Zwillinge, die eine Mischung von Lessing'scher, Göthe'scher und Lenz'scher Manier darbieten. Sonderbar war es, daß unter den eingesandten Trauerspielen drei waren, welche den Brudermord zum Gegenstande hatten *), darunter auch Julius von Tarent von Leisewih. Lehteres Stück ist in jeder Hinsicht gelungener; Klinger aber erhielt den Preis mit seinen düstern unheimlichen Zwillingen ohne alle Charakterzeichnung, in denen das Schreckliche zum Scheuslichen wird. Hier wie in den andern Stücken, finden wir eine Menge Ansichten, Empfindungen und Schlagwörter jener Zeit, die aber durchaus nicht zu einem dichterischen Einzelbilde ausgeprägt sind und nicht in originaler Besonderheit wiedergegeben werden. An Entfaltung und Vorbereitung ist überall nicht zu denken; eine tobende Leidenschaft wird hingestellt und der Leser oder Zuhörer soll sie mitempfinden, miterleben, ohne daß er Geschöpfe vor sich hätte, die er als wirkliche Menschen ansehen könnte. Vorliebe zur Sittenschilderung der Zeit, das Festsehen von Deit

*) Daß Schröder den Brudermord mit in die Augfabe geftellt hätte, wie dies häufig erzählt und nacherzählt wird (auch von Gervinus), ift durchaus unrichtig; der Gegenstand war den Dichtern vollkommen fret geftellt, und Klinger hatte seine Zwillinge vermuthlich schon entworfen, ehe die Preisaufgabe nur bekannt wurde. Vergl. Schriften von Leisewiß (Braunschw. 1838), S. XIX.

lichkeiten und das Einführen heimischer Charaktere und Berhälts nisse, wodurch Göthe und Lenz besonders fessetten, ist Klingern ganz fremd, und schon dadurch tritt er aus dem Charakter des Göthe'schen Kreises heraus, dessen Streben immer war, Zeitge= nossen oder wenigstens Vorfahren zu schildern; Klinger will eine heroische, idealische Menschheit hinstellen; da er aber den Maßstab von sich abnahm, so wurden Verzerrungen daraus *). Seine Helden sind schon ihrem Nahmen nach keine Deutsche; es treten nur Italiener, Spanier, Schottländer, Mauren und andre fremde Völker auf, die der Dichter kaum vom Hörensagen kannte und welche stark an Klopstocks Germanen erinnern. So ist auch Klingern die Neigung zum Volksmäßigen, zur Schilderung der niedern und mittlern Stände, völlig fremd, obgleich er seiner Herkunft nach, wenn er überhaupt Beobachtungsgabe besessen, diese am besten hätte kennen müssen; er hat es durchaus mit Königen, Fürsten, Sultanen, Prinzessinnen, Lords, Hofleuten und andern vornehmen Personen zu thun. Hierin, wie in vielen andern wesentlichen Stücken, steht er der französischen Bühne, die er so verachtet, ganz nahe, während er von Shakespeare'schem Geiste keine Spur zeigt, man müßte denn die vielen Flüche und Dolche als Beweise dafür nehmen.

Die oft nachgesprochene Behauptung: Klinger sey der vors nehmste Vertreter der ganzen Sturm- und Drangzeit **), ist

*) Der scharfsichtige Merk erkannte sein hohles Wesen sehr bald. Er schreibt: „Klinger beträgt sich ganz und gar wie ein Mensch aus einer andern Welt, und das zwar mit jedermann. Der Teufel hole die ganze Poefie, die die Menschen von andern abzieht und fie ins wendig mit der Betteltapeziererei ihrer eigenen Würde und Hoheit ausmeublirt." S. Merks Briefe. Zweite Sammlung S. 49. **) Dies hängt zusammen mit einer andern Behauptung: die Sturmund Drangperiode habe ihren Nahmen von Klingers Schauspiel Sturm und Drang" erhalten; was sich durchaus nicht beweisen läßt. Die Ausdrücke Sturm der Empfindung, Nothdrang des Dichters, Sturm und Drang des Genie's“ und ähnliche waren Lieblingsausdrücke der Schule und durch Herder in Umlauf gekommen ; in Lavaters Phyfionomik werden wenig Bogen seyn, wo nicht Ausbrücke wie Geniebrang, Vollbrang, Thatendrang, oder Wendungen wie auf dieser Stirne droht Sturm! vorlämen; fa man feßte ja geradezu das Wesen des Genie's in einen Drang, entgegengefeßt

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