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weiß, daß Herder sie aus Dichtungen begründete, die gar nicht in den Volkskreis gehören: Ossian, die Eddalieder und die hebräische Lyrik. Offenbar hielt er die Lyrik für den Ursprung aller Poeste, und so läßt sich auch seine Behauptung erklären: „der Sänger (Aöde, Rhapsode) sey später zum Bildner (Poeten) geworden, mithin die Natur zur Kunst;« er wollte durchaus in der ältesten Dichterei nicht als Ergüsse von Stimmungen sehen; dichterische Zeichnung, gradezu das Werk aller alten Volkspoeste, hielt er für etwas später Hinzugekommenes, wodurch die ursprüngliche Musik der Seele verdrängt worden wäre.

Begünstigte er nun in der Gestalt und Erscheinung des Gedichts das musikalische Element: so gab er auch einer Gats tung von Dichtungen den Vorzug, die allerdings ihrem Inhalte nach zu den ältesten gehören. Inhalt der Dichtung ist entweder Deutung der Welt in ihren geheimnisvollen Erscheinungen, oder Festhalten und Gestalten des Erlebten, Empfundenen, Ueberlieferten, oder endlich Lehre und Wissen. Die erste Art von Poefte hängt eng mit dem Volksglauben und der Religion zusammen, die dritte mit Ueberzeugung und Einsicht, die zweite mit der reinen Lust an künstlerischen Gestalten, und sie können als mythische Dichtung, als philosophische Lehrdichtung und als reine Kunstdichtung unterschieden werden. Da die erste mehr bewußtlos ihren Inhalt erst schafft, die dritte mit völligem Bewußtseyn erfindet, die zweite das schon Vorhandene formt, so kann man allerdings die erste als Naturpoesie den beiden andern als Kunstpoesie gegenüberstellen. Aber auch die mythische wird zur Kunst im engsten Sinn, wenn der bloße Vers stand die alte Mythenschöpfung fortsett, so daß die kindliche Weltanschauung sich in kalte Allegorie umwandelt.

S. 104.

Fassen wir die ganze Persönlichkeit Herders zusammen, so ergiebt sich ein entschiedener Gegensah zu Leffing, jedoch kein feindseliger, da gewiß keiner unter den Mitlebenden Lessings Größe gewürdigt hat wie er; Natur und Schicksale hatten in den zwei Männern ganz verschiedene Eigenthümlichkeiten ausgeprägt, so daß der eine das besaß, was dem andern mangelte, und beide

fich ergänzten. Leffing war ganz Verstand und Einsicht, Herder ganz Befühl und Stimmung; Lessing zeigt das Bild des männ= lichsten Charakters in unserer Literatur, Herder das Bild einer fast weiblichen Empfänglichkeit; Lessing führte seine Kämpfe mit der größten Ruhe, der gewaltigsten Ueberlegenheit in der Waffenführung und ohne persönliche Reizbarkeit durch; Herder stritt fast immer mit Gereiztheit und zeigte mehr Muth und Kühnheit als Gewandtheit im Kampfe. Lessing wollte die Literatur aus der Zeit der Kinderschuhe in das männliche Alter versehen und klagte gradezu, daß unsre Poeßte ein sehr jugendliches kindisches Aussehen habe; Herder wünschte sie jugendlicher und bewußtloser und klagte über ihr greisenhaftes Gesicht. Beide forderten Natur von der dichterischen Darstellung, Lessing aber verlangte Natürlichkeit von dem Künstler, Herder Volksmäßigkeit von dem Sänger. Beide giengen von Untersuchungen der wichtigsten Elemente der Poesie aus; Leffing aber zeigte, wie der Dichter Gestalten zeichnen und überall strenge Motive erfinden müsse, Herder drang auf Musik und Wirksamkeit *); jener stellte also die epische und dramatische Gattung, dieser die lyrische voran. Leffing gieng bei der Beurtheilung poetischer Werke immer von dem Begriffe der Kunst aus und fordert daher von der Poeste künstlerische Erfolge, hielt aber auch streng darauf, daß ßle in ihren Grenzen bleibe und nicht in das Gebiet anderer Künste abschweife; Herder gieng durchaus von dem Begriff der Sprache aus und forderte von der Poesie musikalische und mahlerische Erfolge. Lessing steht als eigentlicher Kritiker da und ist am ausgezeichnetsten, wo er einzelne Dichterwerke zergliedert, läßt sich dagegen auf die allgemein-ästhetischen Grundsähe selten ein; Herder tritt mehr als Aesthetiker auf, und ist am ausgezeichnetsten, wo er

*) Nirgends zeigt sich dieser Gegensaß auffallender als in den kritischen Wäldern. Leffing hatte im Laokoon auseinandergefeßt, daß der Dichter, wenn er Geftalten zeichnen wolle, fie nicht beschreiben dürfe, fondern sie vor uns werden und entstehen laffen müsse, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil das Kunstmittel des Dichters, die Sprache, nur in der Zeit wirke. Herder gab die Sache zu, aber nicht den Grund. Nur deshalb behauptet er läßt der Dichter Geftalten entstehen, weil dies energischer wirkt als das bloße Be

fchreiben.

das Wesen der Poefte im Ganzen und Großen betrachtet, oder den Charakter eines Dichters überhaupt hinstellt. Leffing sezte den Unterschied der Gattungen als einen wesentlichen fest und hielt auf Reinhaltung derselben; Herder zeigte die Bestandtheile und Gründe poetischer Wirkungen und betrachtete früher den Unters schied der Gattungen als zufällig und bloß geschichtlich geworden, war auch später nicht glücklich in Auseinanderseßungen dieser Art. So unterschieden sich auch beide in ihren Leistungen als Schriftsteller und Dichter und in ihrer Sprache. Lessing brachte, in völligem Bewußtseyn dessen, was zum Dichter gehört, und mit dem größten Talente der Darstellung begabt, wirkliche, dauernde Kunstwerke hervor, die dichterische Stimmung dagegen sprach er sich selbst ab; Herder war durch und durch eine dichterische Natur, allen seinen Leistungen aber mangelt die künstlerische Vollendung. Leffing als Prosaiker hat einen vollendeten Styl, worin er nicht bloß die volle Gewalt seines Charakters ins Ges wicht legt, sondern auch die Natur der deutschen Sprache in ihrer größten Reinheit und Schönheit zeigt und zugleich den Gegenstand klar und durchsichtig darstellt; Herder hat eigentlich bloß Manier, da sich in seiner Sprache nur seine Stimmungen wiederspiegeln, der Charakter der deutschen Sprache nicht rein ausgeprägt ist und ebenso der Gegenstand selten zur vollen Durchfichtigkeit gelangt.

Lessing und Herder waren beide Männer von ausgebreiteter Gelehrsamkeit und Belesenheit, und beiden galt dieselbe nur als Mittel, nicht als Zweck; Herders Gelehrsamkeit gieng aber mehr in die Breite, Lessings mehr ins Einzelne. Beide endlich waren Lehrer ihrer Zeit, hier aber Herder in weit größerem Umfange. Denn Lessing, der zuleht allen seinen Zeitgenossen weit vorausgeeilt war, konnte nur solchen, die selbst auf einer höhern Stufe standen, etwas seyn; Herder hingegen pflanzte in die Nation überhaupt eine Menge Ideen und war der größte Beförderer der Bildung. Wie er selbst eine höchst empfängliche Natur war, so sammelte er auch eine große Zahl strebender und denkender Jünglinge und Männer um sich, die seiner Leitung sich mit dem unbedingtesten Vertrauen hingaben und wohl daran thaten. Selbst in Beziehung auf Sprache wirkte er bedeutend. Lessings Vor

trag, so unnachahmlich schön, ist, wie wir schon oben erwähnten, nicht jedem anzurathen; gerade der Umstand, daß Herder in seinem Vortrage nichts gab als seine Persönlichkeit, wirkte ane regend; er wirkte dadurch der frühern Prosa entgegen, die ents weder ihren althergebrachten, steifen Gang hielt oder eine Glätte erstrebte, welche ohne Gehalt war. Und so hatte er denn einen außerordentlichen Einfluß auf einen warmen Vortrag der Wissens schaft, wie auf die Behandlung derselben überhaupt. Man macht ihm den Vorwurf, daß er allgemein menschliche Bildung auf Kosten der vaterländischen gepriesen habe; betrachten wir jedoch die ganze Entwickelung unseres Volkes, so muß auch dies als ein Verdienst seines richtigen Gefühls gepriesen werden, daß er Bildung zur Menschlichkeit vor allem erstrebte, da ein nationaler Hochmuth ohne humane Gesittung immer etwas Barbarisches an sich trägt. Das größte seiner Verdienste bleibt die Be fruchtung der Nation mit Ideen, und kein Schriftsteller hat mehr wie er Einfluß auf die ganze Weltansicht des Volkes gewonnen. Wenn uns manches, ja vieles in seinen Schriften jeht ganz gewöhnlich und alltäglich vorkommt, so rührt das nur daher, daß es durch ihn nach und nach vermittelst vieler Kanäle Eigenthum des Volkes geworden ist. Wird hierbei Herders Nahme fast nie genannt: so ist daran die Eigenthümlichkeit seiner Werke Schuld, die nicht als vollendete Bücher angesehen werden könnten, sondern nur als anregende, ideenreiche Ergüsse und Fragmente. Uebrigens war der große Mann ganz zufrieden damit, daß sein Nahme nicht genannt würde, wenn nur die Wirkung bliebe. Diese Entsagung auf allen Ruhm spricht er selbst aus in dem schönen Gedichte: Der Nachruhm.

Wir schwimmen in dem Strom der Zeit

Auf Welle Welle fort;

Das Meer der Allvergessenheit

Ist unser lehter Ort;

Genug, wenn Welle Welle trieb

Und ohne Nahmen Wirkung blieb;

Wenn dann auch in der Zeiten Bau
Mich bald ihr Schutt begräbt,
Und meine Kraft auf Gottes Au
In andern Blumen lebt,
Und mein Gedanke mit zum Geist
Vollendender Gedanken fleußt.

Schön ist's, von allem anerkannt,

Sich allgelobt zu sehn.

Doch schöner noch, auch ungenannt

Wohlthätig festzustehn.

Verdienst ist meines Stolzes Neid,
Und bei Verdienst Unsichtbarkeit.

S. 105.
Lavater.

Im Jahre 1769, drei Jahre nach Gottsched, starb Gellert, bis an seinen Tod in ungeschmälertem Besihe der Verehrung und Liebe seiner Zeitgenossen. Ueber seinem Grabe erhob sich sogleich der Kampf, indem sich diejenigen, welche um jeden Preis einen Durchbruch in der deutschen Literatur erstrebten, jeht nicht mehr scheuten, offen zu erklären: Gellert sey nichts weniger als ein Genie, ja eigentlich gar kein Dichter, sondern nur ein Bersmacher ohne alle höhere Begabung. Natürlich fehlte es nicht an eifrigen Vertheidigern des verehrten Mannes, und so entstand damals eine eigene Gellert-Literatur. Es ist bezeichnend für den jungen Göthe, daß er, der doch zu den neuen Krafts genie's gerechnet wurde, sich auf Gellerts Seite schlug und dessen herrliches Talent gegen alle Anfeindungen hervorhob. Den Umschwung der damaligen Zeit beweist aber die Thatsache, daß man einem Manne, der bei seinen zahllosen Anhängern allges mein als Genie gegolten, weil er ein schönes Talent besessen, jezt diesen Titel rauben wollte, ihn aber dafür auf einen andern Mann übertrug, der eigentlich eben so wenig als Gellert für ein Genie gelten kann, dafür aber ein ausgeprägter Charakter war. In die Stelle nehmlich, welche Gellert in der Achtung der Zeitgenossen eingenommen, sollte schnell ein anderer Mann treten,

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