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Hamanns Sachen sind in gewissem Sinne gar keine Schrif ten, wenn man unter einer Schrift ein abgeschlossnes Ganzes versteht. Der Mann war wie ein lebendiges Wörterbuch voll seltsamer, oft überraschender Deutungen. Wie aber in einem Wörterbuche die einzelnen Artikel nicht innerlich zusammenhängen, sondern nur zufällig durch die Ordnung des ABC sich ordnen: so folgen sich bei ihm Worte, Gedanken und Deutungen, die der Sache nach gar nicht zusammen gehören. So wie ferner an einem Wörterbuche, wenn auch gewöhnlich nur einer als Verfasser genannt ist, stets viele arbeiten, und neben guten und treffenden Auslegungen auch schlechte und alberne sich finden: so verhält es sich auch mit den Gedankenaufspeicherungen bei Has mann; denn abgesehen davon, daß er wirklich aus alter und neuer Zeit und aus allen Nationen das Bunteste zusammenschleppte: so scheinen in dem Manne ganz verschiedene Kräfte und Seelen zu arbeiten. Wie schöne grüne Inseln in einem wüsten unreinen Meere schwimmen die edelsten Gedanken in ei= ner Flut von nichtssagenden Wiheleien; köstliche Edelsteine in schmußigem Gesteine; helle Lichter neben gaukelnden Frrwischen *). Seine Schriften im Ganzen haben daher nur für den Literarhistoriker Wichtigkeit; dagegen verdienen eine Menge seiner einzelnen Sprüche und Gedanken wohl aufbewahrt und eingeprägt zu werden, und zwar nicht nur ihres Gehaltes, sondern auch ihres oft schlagenden Ausdrucks wegen **). Wenn wir bei Klopstock sagten: daß wir ihn stets als würdige, bedeutende Erscheinung im Ganzen und Großen auffassen müßten und dann gestärkt und erfreut vom Anblick des Mannes zurückkehren würs den, wenn auch seine einzelne Poesleen uns nicht mehr Genüge

* Selbst sein Freund und Verehrer Jacobi fällt das Urtheil: „Ein „wahres nav ist dieser Mann, an Gereimtheit und Ungereimtheit, „an Licht und Finsternis, an Spiritualismus und Materialismus.“ S. Jacobi's Briefwechsel. Bd. I. S. 447. **) Daher ist als Sammlung folcher Sprüche sehr zu empfehlen: Friedr. Cramer: Sibyllinische Blätter des Magus des Nordens. Leipz. 1819. Die gesammten Schriften Hamanns, so wie feine Briefe und feine Selbstbiographie find herausgegeben worden von Fr. Roth: Joh. G. Hamanns Schriften, Berl. 1821-1843. 8. Thle. 8.

thaten: so ist es gerade bei Hamann das Einzelne, was vollen Gehalt hat; der Mann im Ganzen hat etwas Unheimliches. Eine Zusammenstellung mit Klopstock ist daher durchaus unstatthaft und beruht nur auf dem Schein. Die Berliner schon begiengen den Fehler, einen nordischen Bund anzunehmen, der sich von Riga und Königsberg bis Schleswig erstreckte (Herder, Hamann, Klopstock, Gerstenberg u. A.), und der darauf ausgienge, alles in's Dunkle zu hüllen und Verstand und Klarheit zu verbannen. Klopstock hat nie in einer nähern Verbindung mit Hamann gestanden; seine Dunkelheit, sein Christenthum, seine Empfindung flossen aus ganz andern Quellen, und Naturen wie die des Königsberger Propheten und waren ihm durchaus zuwider. Ueberhaupt hatte Hamanns Schriftstellerei im Ganzen keinen Einfluß auf Entwickelung der Literatur; dagegen griffen einzelne seiner Behauptungen desto tiefer bei dem jungen, brausenden Geschlecht, das sich mit der gemessenen Haltung und den schweren Anforderungen Lessings nicht befreunden konnte, so wie bei den Bibelgläubigen, die in Hamann einen Hort gegen die Berliner erblickten.

§. 102. Herder.

Die ganze Erscheinung wäre vielleicht spurlos wie so manche andere verschwunden: hätte nicht ein Mann, der nicht bloß Les ser Hamanns, sondern dessen unmittelbarer Schüler und Freund war, die zerstreuten Gedanken und dunkeln Orakel des Königsberger Propheten in eine Art System gebracht und mit beredter Zunge vertreten: Johann Gottfried Herder. Es liegt ein eignes Verhängnis darin, daß Gottsched von Königsberg ausgieng, um die Lehren, die er bei seinem Lehrer Valentin Pietsch *) eingesogen, als ein rüstiger Apostel aller Welt zu verkündigen, und daß wiederum von Königsberg ein Mann ausgieng, um ein Jahr nach Gottscheds Tode die Ansichten seines Lehrers zu vertreten und den lehten Rest von dem Ansehen, welches der Leipziger Diktator noch genoß, von Grund aus zu vertilgen.

*) Geft. 1733 als Profeffor der Poefie zu Königsberg.

Herder war 1744 zu Morungen in Ostpreußen geboren als Sohn eines Schulmeisters, und verlebte seine Jugend in drückenden Verhältnissen. Wissenschaft und Poesie waren schon früh die stille Freude des in sich verschloßnen, schweigsamen Knaben, vor allem Homer und die Bibel, und zwar die lehtere nicht als Sammlung von Beweisstellen für den Katechismus, sondern als Urkundenbuch der ältesten Kindheit der Welt, wo er fand, was er im Leben nicht hatte. Auch auf ihn, wie auf die ganze damalige Jugend, wirkte Klopstock außerordentlich, nicht durch seinen Messias, sondern durch seine Oden. In Königsberg, wo er von 1762-1764 studierte, warf sich Herder mit angestrengtem Fleiße auf alles menschliche Wissen, und schon hier kam ihm der Gegensah, der stattfand zwischen der festen überlieferten Lehre und dem ursprünglichen Gegenstand derselben, zum Bewußtseyn. Theologie und Religion, Schule und Erziehung, Philosophie und Sehnsucht nach tieferer Erkenntnis, Dichtkunst und poetische Auffassung des Lebens, Geschichtschreibung und Blick in die Entwickelung des Völkerlebens, Philologie und Leben der Sprache, Naturgeschichte und innerstes Wesen der Natur überall sah er schneidende Trennung, und Morgenland und Griechenland stellten ihm allein die innige Einheit zwischen Lehre und Leben, Poefte und Menschheit dar. Zu solcher Erkenntnis waren andere Männer auch gekommen, nahmentlich Lessing; allein dieser hatte eine Menge Irrthümer selbst mit durchgemacht, hatte sich mit eigner Kraft durchringen müssen und verwarf das Gute, welches die frühere Zeit gehabt, mit dem Ungenügenden derselben keineswegs. Nicht so bei Herder. Die Ueberzeugung, wie mangelhaft die geistige Bildung seiner Zeit wäre, war nicht das Ergebnis reifer Studien, sondern begleitete dieselben von vorn herein; denn er fand auf der einen Seite an Kant, der ihm die stillen Gesetze der Natur offenbarte, auf der andern Seite an Hamann zwei Lehrer, welche von vorn herein die Nichtigkeit aller bisher bestandenen Ansichten und Verfahrungsweisen behaupteten, und so mußte natürlich eine furchtbare Gährung in Kopf und Gemüth des Jünglings entstehen. Wenn Lessing sich in der Jugend überall herumtrieb, so geschah es, um seine Kraft zu üben und zu sehen, wohin ihn eigentlich sein Talent rufe; in

Herder hingegen scheint schon früh der stolze Gedanke rege geworden zu seyn, der Reformator und Bildner seiner Zeit in allen Beziehungen zu werden.

Von 1764 1769 lebte er in Riga als Lehrer und Predi ger, und hier gab er 1767 seine Fragmente zur deutschen Literatur heraus; dem Titel nach eine Beilage zu den Literaturbriefen, an welche sie sich allerdings anschlossen, dem Wesen nach eine ganz neue Poetik. Er beginnt mit einem Feldzuge gegen die correcte und ängstliche Sprache der Schriftsteller. Man habe das nothwendige Band zwischen Literatur und Sprache getrennt, so daß jene nicht mehr das Bild von dieser sey, da die deutschen Schriftsteller den Genius ihrer Zunge nicht beachteten, sondern ihr hebräische, griechische, lateinische, französische Formen aufbürdeten. Er spottet über classische Schriftsteller, welche der allgemein angenommenen Schreibart und Regelrichtigkeit genugthun wollten, und fordert idiotistische Schriftsteller, welche so schrieben, als wenn gar keine andere Sprache als die ihnen persönlich eigenthümliche auf der Welt wäre, Schriftsteller, welche in die Goldgruben der Sprache hinabstiegen und auch Gesetz und Regel übertreten könnten. Dem stünden freilich die Forderungen des Zierlichen, des Regelmäßigen, des Classischen im Wege; denn um in den Augen der Kunsts richter classisch zu werden, sey kein andres Mittel, als so zu schreiben, wie die Regelschmiede, die Pedanten der Reinigkeit und des Ueblichen in der Schreibart, die Großsiegelbewahrer der Keuschheit einer Sprache es wollten. Und diese Sklaverei des Ueblichen und Geziemenden hindere uns an einer eigenthümlichen Prosa, die vom Munde wegspreche; ein kühnes Genie aber durchstoße das beschwerliche Ceremoniel, finde und suche sich Idiotismen und grabe in die Eingeweide der Sprache, wie in Bergklüfte, um Gold zu finden. Wir seyen überhaupt noch in der Zeit der Bildung, der Vers suche, der Bearbeitung, und es sey viel zu früh, an die Aufstellung von Mustern zu denken.

Und jetzt entwickelt er seinen Unterschied von Poesie der Natur und Poeste der Kunst, einen Unterschied, den man eis gentlich immer anerkannt hatte, jedoch so, daß man von der

Ueberzeugung ausgieng, die eigentliche Poesie entstehe erst dann, wenn Regeln für ihre Ausübung festgesetzt seyen; alles frühere sey mit dem Makel der Rohheit behaftet. Herder nimmt bei seiner Auseinandersehung auf die Entwickelung der griechischen Poesie Rücksicht, weil nur diese sich natürlich und ohne Störung und Nachahmung fremder Muster hätte entfalten können. Die Sprache habe mehrere Lebensalter; ihr Jünglingsalter sey das eigentliche poetische; se trage dann nicht mehr den Charakter kindischer Rohheit und Unbeholfenheit, aber auch nicht den der Regelmäßigkeit und geordneten Schönheit; sle sey dann in ihrem Ausdrucke kühn, reich und tönendes Leben, in ihren Verbindungen frei und ungefesselt. Schriftsteller gebe es keine, alle lebende Sprache, Ueberlieferung und Mittheilung geschähe in Liedern, und in den Gesängen wären Schlachten und Siege, Fabeln und Sittensprüche, Gesetze und Mythologie enthalten. Die Sprache im männlichen Alter werde schöne Prosa, die Poeste nun Kunst und entferne sich von der Natur. Poefte sey also lange vorher, ehe es Prosa gegeben, zu ihrer größten Höhe gestiegen und könne später diese nie mehr erreichen. Die ersten Schriffteller jeder Nation seyen noch Dichter und die ersten Dichter unnachahmlich. Später wachse in den Gedichten nichts als die Kunst; aus der Liedersprache werde eine Büchersprache; Poesie höre auf, die eigentliche Sprache des Lebens zu seyn, und Prosa trete an ihre Stelle; aus der Dichterei werde Dichtkunst, der Sänger der Natur werde zum Poeten, die Musik der Natur zur Nachahmung und schönen Kunst. „Aber die Sprache der Natur geht damit nicht verloren; denn Homer wurde gerettet, und ihn stellte die Natur als Muster auf, dem alle Kunst nachahmen, den sie nie übertreffen sollte. Aus seinen Gedichten, in denen bisher alles, Weisheit und Schreibart, vereint gewesen, flossen verschiedene Gattungen wie Bäche ab; der eine Dichter gab der Poesie Neues in der Manier, der andre in der Sprache, der dritte in der Gesangweise, der vierte im Stoffe. So konns ten immer auf dem Wege der alten poetischen Sprache vortreffs liche Dichter leben, parallel mit der Prosa, allein Prosa war es, was lebte. Wollen wir also in das Wesen der poetischen Sprache und in die Natur der Poeste blicken, so müssen wir zu

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