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hätte er sich nie hingegeben. Wenn daher später Jacobi in Folge eines Gesprächs *) behauptete: Lessing sey im Alter Spinozist geworden: so muß diese Behauptung als eine Mystification des Mannes aufgenommen werden, der sich leider oft genug tänschen ließ; Lessing darf durchaus nicht mit einem Partheinahmen bezeichnet werden. Bei diesen Gesinnungen konnte der große Schriftsteller allerdings kein strengwissenschaftliches Werk durchführen; alle seine Schriften sind mehr oder weniger Fragmente: anregend, meisterhaft im Vortrage, aber nie abschlies Bend, sondern vor dem lehten Ziele abbrechend. Und so begann denn mit ihm die große Menge der fragmentarischen anregenden Schriftsteller, die das ganze Jahrhundert hindurch eine so große Rolle in unserer Literatur spielen sollten.

S. 94.

Justus Möser.

Alleiniger Gegenstand von Lessings Dichten und Denken war der Mensch; mit der Natur hat er sich nie befreundet, und er ahnete wohl nicht, welchen Einfluß später die Naturbetrachtung auf Poesie und Wissenschaft haben sollte. Der Mittelpunkt seiner schriftstellerischen Thätigkeit war die Kunst nach allen ihren Richtungen; daneben breitete es sich über das ganze Bereich menschlicher Geistesthätigkeit aus. Nur Geschichte und Politik berührt er bloß gelegentlich. Welche Einsicht er in das Wesen der Geschichtsschreibung hatte, beweist die einzige Kritik, die er über dieses Fach in den Literaturbriefen widerlegte; er fühlte sich aber nicht bestimmt, als Geschichtschreiber und Politiker aufzutreten.

Diese Lücke in Lessings schriftstellerischer Wirksamkeit füllt ein anderer Mann aus, der so viel Aehnlichkeit mit Lessing hat und doch auch so viel Unähnlichkeit: Justus Möfer von Osnabrück (1720-1794). Auch er hatte sich in seiner Jugend an die damals geltende Poesie angeschlossen und ein Trauerspiel (Arminius) in Gottscheds Manier geschriebeu; auch er lehnte sich später gegen die Gewaltthätigkeiten des Leipziger Professors

*) Abgedruckt in Jacobi's Werken. Bd. IV. Abth. I.

auf und schrieb eine Vertheidigung des Grotesk-Komischen; auch er kam sehr bald durch seinen natürlichen Verstand zur Ueber. zeugung, daß Kunst und Poesie eines Volkes mit dessen Neigungen und Bedürfnissen übereinstimmen müsse, und eine nach allgemeinen Regeln geübte Poesie keine sey. Später in den praktischen Staatsdienst getreten und zur höchsten Wirksamkeit darin berufen, da er im Bisthum Osnabrück einerseits dem ab: wesenden Regenten als Rathgeber beigeordnet war, andrerseits die Rechte der Stände gegen den Regenten vertreten mußte: ward das Staatsleben der Mittelpunkt seiner schriftstellerischen Thätigkeit, wobei er sich aber über alle Erscheinungen und Verhältnisse des öffentlichen Lebens verbreitete, da er wohl wußte, daß zum nationalen Gedeihen alle geistigen Kräfte wirksam seyn müßten und alles Wichtigkeit habe, was zur Gestaltung fenes Lebens beitrage. Er sah, wie Lessing, daß die alte Zeit im Untergehen begriffen sey und eine neue geboren werden sollte; er sah den Zwiespalt, in welchen alte Rechte und neue Ansprüche, alter Glaube und neue Ansichten träten, und stellte sich die Aufgabe, den Vermittler zweier Zeiten zu spielen. Wie ist die jezige Zeit entstanden, und auf welchen Grundlagen beruht die Berechtigung mancher drückenden Verhältnisse? Diese Fragen suchte er zu beantworten und schrieb zu diesem Behufe ein Wochenblatt, wovon die meisten Aufsätze später von seiner Tochter unter dem Titel „patriotische Phantasieen" gesammelt wurden; in demselben Sinn schrieb er seine Osnabrückische Geschichte. Ueberall geht er vom engern Vaterlande aus und verbreitet sich dann über das allgemeine; er betrachtet die geringfügigsten Erscheinungen und knüpft daran die wichtigsten Folgerungen und weite Uebersichten. Ueberall suchte er das lebende Geschlecht mit dem vergangenen zu verbinden und zugleich für das zukünftige zu wirken.

Auch Möser genoß, wie Lessing, die allgemeine Achtung seiner Zeitgenossen; auch er gehört zu den Männern, welchen unsere jezige Zeit wieder die gebührende Ehre zollt. Wiz und Talent vereinigten sich auch hier mit Gründlichkeit und Kenntnis; gesunder Menschenverstand und Scharfsinn mit einem gediegenen Charakter. Auch in dem Gebrauch der Sprache

befolgte Möser dieselben Grundsäte wie Lessing; er gieng von der lebendigen Sprache aus, liebte auch die dialogische Lebens digkeit und hatte ungemeines Talent zur Beredsamkeit. Allein bei ihm hat alles andere Färbung. Mösers Gelehrsamkeit war eine andere als Lessings, sein Wih ein anderer, die Geltendmachung seiner Ansicht eine andre. Der Adel Lessings ist eben so wenig bei Möser zu finden, als die Treuherzigkeit Mösers bei Lessing. Lessing hat nur als Schriftsteller auf die Nation gewirkt, seine amtliche Thätigkeit stand im Hintergrunde; Möser wirkte unmittelbar als öffentlicher Beamter, genoß hier das größte Zutrauen bei Fürsten und Volk, und seine schriftstellerische Thätigkeit stand erst in zweiter Stufe. Mit Recht hat daher die Stadt Osnabrück ihrem großen Mitbürger ein Denkmal gesezt; denn von hier aus, vom engsten Kreise, gieng all seine Thätigkeit; wollte Deutschland dem großen Lessing ein Denkmal fehen, so wäre der Ort nicht zu finden, denn er hat nie für einen Ort, für eine Provinz gewirkt und am allerwenigsten für die, wo er sich zufällig gerade befand.

§. 95. Winkelmann.

Ein ganz anderes Bild zeigt uns Johann Joachim Winkelmann aus Stendal in Pommern (1717-1768), dessen ganzes Streben nur eine Richtung kannte: die in die Fremde und in die Vorwelt; dessen Sinn sich von vaterländis schen Zuständen und Entwickelungen ganz abwandte, und der doch den größten Einfluß darauf gewinnen sollte; der nichtsweniger als einen männlichen Charakter gezeigt hat, dagegen aber die zäheste Beharrlichkeit, alles aufzuopfern, um zum Ziele zu gelangen.

Auch Winkelmann gehörte zu denen, welche, für das Studium der Theologie bestimmt, sich von demselben ganz bestimmt abwendeten und sich mit Eifer auf die Kenntnis des Alterthums warfen, gehörte zu denen, welchen das Leben in deutscher Luft nicht behagen wollte, und die sich nach einem mildern Himmel und nach einer reizendern Gestalt des Daseyns sehnten. Nach mancherlei Schicksalen ward er 1728 an der Bibliothek des Glzinger Lit.

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Grafen Bünau zu Nöthewih bei Dresden angestellt und lernte hier die gesammelten Kunstschäße aus eigner Ansicht kennen; 1755 gieng er nach Rom, nachdem er vorher, um Unterstüßung und Anstellung zu finden, Katholik geworden war. Winkelmann versenkte sich ganz in die Schönheit der alten Bildhauerkunst. Schon in Dresden hatte er (1755) seine Gedanken über die Nachahmung der griechischen Kunstwerke herausgegeben, die außerordentlich viel Aufsehen erregten, und in Rom arbeitete er neben kleinen Abhandlungen seine Geschichte der alten Kunst aus, die zuerst 1764 erschien. Alle seine Schriften übten vielfach Einfluß auf die Entwickelung der deutschen Literatur. Einmal verstand es Winkelmann, die alten Kunstwerke so zu beschreiben, daß die Beschreibung selbst ein Kunstwerk wurde, indem durch ihn die alten Gebilde dem Leser lebendig wurden; dann aber bildete er sich eine Sprache, die ganz und gar die Sache wiedergab, einfach, erhaben, ruhig; eine Sprache, die in ihrer Art eben so plöhlich dastand, wie Lessings. Wie sein Styl in geradem Gegensahe zu Lessings steht: so auch die ganze Eigen= thümlichkeit des Mannes. Er besaß weder die weitumfassende Gelehrsamkeit Lessings, noch dessen ungeheuren Verstand, und am allerwenigsten dessen Charakter; dafür aber einen anerbores nen Instinkt für Auffindung des Schönen und eine Begeisterung für die Erscheinung desselben. Sein Auftreten hatte nun mans cherlei Folgen. Erstens verrückte er einer Menge Menschen die Köpfe, indem jeder Sammlungen von Kunstwerken, Gemmen und Alterthümern anlegte, von Kunst schwahte und die Winkelmannischen Litaneien nachbetete. Zweitens verwandelte sich das Studium des Alterthums, das sich bisher bloß auf die Schriftsteller geworfen, gar sehr, indem es sich allmählich zur Alterthumswissenschaft umbildete, vorerst freilich nur in Bezug auf Kunst, dann auch, indem nun nicht bloß Gelehrte in dieses Fach einredeten, sondern begeisterte Jünger und Liebhaber des Schönen. Drittens hatten Winkelmanns Behauptungen einen bedeutenden Einfluß auf unsre Dichter und Kritiker. Auf Wieland z. B. wirkten die Ansichten von der Grazie, die etwas Erworbenes sey, und auf welcher die antike Kunst vorzüglich beruhen sollte, höchst verderblich, auf viele andre die Winkel

mann'sche Ansicht von der Allegorie. Auch die Hallische Schule von Kloh schwor auf das Dogma von der Grazie, so daß ihr die ganze Kunst ein Dienst der Grazien war. Klopstock eiferte gegen Winkelmann, und die Abgötterei mit der alten Kunst war ihm ein Greuel. Lessing, der große Verehrer und Kenner der Alten, hatte eine durchaus andere Ansicht vom Alterthum, und schon dies machte ihn zum Gegner Winkelmanns, noch mehr aber die Wahrnehmung, daß die Grenzen zwischen Mahlerei und Poeste, ohnedies schon gefährdet, durch jenen noch mehr verrückt würden. Er schrieb gegen Winkelmann seinen Laokoon, worin er nicht undeutlich zu verstehen giebt, daß jener das Wesen die Poesie verkenne und den Charakter der Alten falsch auffasse. Das junge Geschlecht, welches in Winkelmann ein Muster sah in Beharrlichkeit und im Durchbruch der Natur gegen alle Beschränkungen des Herkömmlichen, ergriff den Grundsaß, daß alles Heil der Kunst in Nachahmung der nackten Menschlichkeit bestehe, mit Leidenschaft, und so bahnt uns denn dieser Mann den Weg zur neuen Periode von selbst.

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