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Ueberzeugungen oder Einbildungen keck ausspricht, oder daß der sich für einen Poeten hält, der empfindsame Gemüthsregungen, energische Gelüste oder die leichte Gabe des Wizes hat; daß endlich der Anspruch auf den Nahmen eines Charakters, Weltweisen oder Redners macht, der nichts besikt als poetische Anschauungen, zu deren dichterischer Gestaltung er aber entweder kein Geschickt hat, oder keinen Fleiß aufwenden will.

Daher ist es nicht unnöthig, immer von neuem darauf hinzuweisen, worin denn eigentlich Wissenschaft und worin Poesie bestehe, und wo die Grenzen zwischen beiden liegen; darauf hinzuweisen, wie in der Literatur eine besondere Art der Gesinnung gar keinen Werth habe, wenn sie nicht durch wissenschaftliche oder künstlerische Form sich Geltung verschaffe; darauf hinzuweisen, wie selbst die Bedeutung des wirklichen literarischen Charakters, der durch das Wort zu wirken versteht, immer nur eine vermittelnde sey, während Wissenschaft und Poesie die ei. gentlichen Elemente in der Entwickelung des Geisteslebens der Nationen bilden. Eben so bedarf es stets neuer Belehrung, um das Publikum, von dessen Theilnahme doch großentheils das Gedeihen der Literatur abhängt, darauf aufmerksam zu machen, worauf es bei der Schähung literarischer Erscheinungen überhaupt ankomme, und worin der Werth wissenschaftlicher, poetischer und persönlich-beredter Leistungen insbesondere bestehe. Ueberall in der Literatur, betreffe es nun Stoff, Form oder Charakter des Schriftstellers, also Dargestelltes, Darstellung oder Darsteller überall haben wir viererlei zu unterscheiden: Wirksamkeit, bezügliches Interesse, Richtigkeit und Wahrheit. Der große Haufe sieht nur auf das erste; der für bestimmte Interessen Lebende vorzugsweise auf das zweite; der Mann der Schule auf das dritte; der Sohn der Natur, so wie der Zögling wahrer Kunst und Wissenschaft sucht das vierte, ohne jedoch jene andere Eigenschaften gering anzuschlagen. Die Wirksam= feit des Stoffes besteht in der Neuheit oder in der Mannig faltigkeit und dem Reichthume desselben, wodurch er unser Staunen, unsere Neugierde oder Wißbegierde reizt; die Wirke samkeit des persönlichen Charakters beruht auf seiner Geltende machung als eine neue, nicht alltägliche Erscheinung. Die

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Wirksamkeit der Form entspringt aus dem starken Auftragen der Töne und Farben, aus dem geflissentlichen Hervorheben aller Theile, durch welche das Herz oder die Einbildungskraft, oder geradezu die Sinnlichkeit besonders gerührt wird, in Bezug auf die Ausdrucksweise aus einer wißigen, bilderreichen, effektvollen Sprache. Das bezügliche Interesse, das ein Erzeugnis der Literatur uns cinflößt, geht immer aus der Verbindung hervor, in welcher es mit unsern besondern Zuständen, Bedürfnissen, Neigungen und Zwecken steht. Der Stoff nimmt unsere Theil. nahme in Anspruch, weil er Zustände berührt, die für uns be sondere Wichtigkeit haben, seyen es nun vaterländisch-politische, oder religiös-kirchliche, oder ökonomisch-praktische; die Persönlich. feit des Schriftstellers wird bewundert wegen seiner innern Verwandtschaft mit unsern Neigungen und Ueberzeugungen, viels leicht auch, weil er besiht, was wir nicht haben, aber zu haben wünschen; die besondere Form hat für uns Werth, weil wir gerade diese für bestimmte Zwecke suchen, da ja Poesie und Literatur auch die Bestimmung haben, einzelne Zeitabschnitte, Zustände und Verrichtungen zu beleben und ihre Bedeutsamkeit zu erhöhen. - Die Richtigkeit, die in einer Darstellung herrscht, beruht nicht mehr auf subjektiven Anforderungen, sondern auf der Uebeinstimmung des Dargestellten, entweder mit dem wirklichen Verhalten der Dinge, oder mit den Ueberzeugungen des Schriftstellers, oder mit den geltenden Regeln und Vorschriften. Im ersten Falle haben wir die historische Wahrheit, im zweiten die Aufrichtigkeit des Charakters, im drttten die Correct heit der Form. Etwas ganz anders ist die eigentliche Wahrheit. Das Dargestellte hat Wahrheit, wenn überall ein nothwendiger Zusammenhang erscheint; der Charakter hat Wahrheit, wenn er nicht auf Affektation beruht, sondern auf Ernst der Gesinnung; die Form hat Wahrheit, wenn Gedanken und Einkleidung so zusammenstimmen, daß der erste durch die lehte klar durchscheint; wenn also die Idee Anschaulichkeit empfängt durch die gegebene Fassung. Auf diesem Punkte beruht nun eigentlich die künstlerische Schönheit der Darstellung, die von der technischen Vollkommenheit wohl zu unterscheiden ist.

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Welche verschiedenen Rücksichten, von denen der Antheil an

einem literarischen Erzeugnisse abhängt; welche vielfach sich durchkreuzenden Forderungen an den Schriftsteller, der doch unmöglich alle zugleich erfüllen, mithin nie allen zugleich genügen kann! Dürfen wir uns wundern, daß die Urtheile über den Werth literarischer Erscheinungen selten oder nie übereinstimmen, da jeder einen andern Maßstab anlegt, und oft gerade deshalb ein Werk herabseht, weshalb der andere es erhebt? Während der eigentliche Zögling der Kunst, der uneingenommene Freund der Poesie, Göthe's Dichtungen gerade deshalb so schäßt, weil sie rein menschliche Zustände schildern ohne alle Beigabe von patriotischen, kirchlichen, wissenschaftlichen, ökonomischen und andern Interessen *), so verklagt ihn ein anderer Theil, weil er in dem Nichtvorhanden seyn dieser Interessen wirkliche Mängel erblickt; und während viele den Dichter deshalb so hoch schäßen, weil er, der treue Beobachter der Natur, nicht Ansichten und Reflectio. nen über die Dinge giebt, sondern den Gegenstand in seiner ganzen Fülle zur Anschauung bringt: während dem jammern andere über diesen Umstand und behaupten, der Dichter habe gewiß gar keinen Charkter gehabt, da sich seine eignen Meinungen nirgends fassen ließen und die widersprechendsten Ansichten verschiedenen Personen in den Mund gelegt waren. So viel ist gewiß, daß die Theilnahme da, wo sie auf Wirksamkeit und bezüglichen Interessen beruht, sehr wechselnder und wandelbarer Natur seyn muß, da das, was uns heut neu und wundervoll erscheint, morgen uns schon alt und alltäglich vorkommt, und da die bezüglichen Interessen nach Zeit und Umständen sich ablö. sen und jeder Stand, jedes Alter, jedes Jahrzehend seine be sondern hat. Richtigkeit ist immer ein relativer Begriff; Wahrheit aber, oder vielmehr das Streben darnach, verliert in keinem Zeitalter seine Geltung, kann aber doch der Anerkennung entbehren, da auch für sie Empfänglichkeit und Neigung da seyn muß. Heillos und verderblich ist hierbei die Vermengung der Ansprüche ganz verschiedener Gattungen, gehe diese

*) Es ist hier natürlich nicht die Rede von Göthe's spätesten Poesien, die allerdings von bezüglichen Intereffen nicht nur begleitet, sondern geradezu erdrückt werden.

nun von den Schriftstellern oder von dem Publikum aus. Wie viele suchen da wissenschaftliche oder historische Wahrheit, wo sie nur die poetische Wahrheit suchen sollten, und wie viele verlangen umgekehrt da eine poetische Befriedigung, wo sie nur wissenschaftlichen Gewinn erwarten dürfen.

§. 8.

Ausscheidung der Nationalliteratur.

Die Gesammtheit derjenigen schriftstellerischen Geistesarbeiten, in denen die Form von dem Darstellenden frei ausgegangen ist, trägt vorzugsweise den Nahmen der Literatur oder auch der National literatur eines Volkes, und zwar aus mehrern Gründen. Diese Geistesschöpfungen sind erstens, weil hier der Stoff nicht vorzugsweise in Betracht kommt, keineswegs Träger und Vertreter einer Wissenschaft oder Lehrer gewisser Fertigkei= ten, kein nothgedrungener Ersah für lebendige Fortpflanzung und unmittelbare Belehrung, sonderu sie leben nur als Literatur, als etwas an das Wort Festgebanntes. Das Wesen derjenigen Literatur, die es mit bestimmten Fächern des Wissens zu thun hat, kann dadurch fortgepflanzt werden, daß man ihren Inhalt mittheilt; sie läßt sich in Auszügen geben, erweitern, er« klären, ohne daß das Wesentliche dabei leidet; es kann ein wissenschaftliches Werk ganz verloren gehen, ohne daß der darin niedergelegte Gehalt mit geraubt wäre. Nicht so bei den Schriften, in denen die Form Hauptsache ist; da sie nicht bloß Träger eines Inhalts sind, sondern der Stoff bloß das Mittel war, woran sich das Kunsttalent übte, so giebt hier die Mittheilung des Inhalts nie ein Bild von dem Wesen der Geistesarbeit. Wäre keine Schreibkunft vorhanden, so gäbe es für Fortpflanzung der Poesie kein anders Mittel, als wörtliches Aufbewahren im Gedächtnis.

Ist nun die Nationalliteratur vorzugsweise an die Gestaltung gebunden, die sie durch das Wort und die Persönlichkeit des darstellenden Talents erhält, so gehört sie zweitens auch in strengerem Sinne einem bestimmten Volke an, ist Ausdruck des Nationalgeistes und Ansprache an eine besondere Nation; wenigstens soll sie dies seyn. Jede Wissenschaft kann allerdings bei

rem einzelnen Volke einen bestimmten Gang nehmen; allein mindestens diejenigen Fächer, bei denen es sich nicht um Entwickelung menschlicher Zustände handelt, also Naturwissenschaften und Mathematik, können doch unmöglich von besondern nationalen Gesinnungen, Ansichten und Stimmungen ausgehen. Dem eigentlichen gelehrten Schriftsteller ist ja der Stoff ein an. vertrautes Gut, das er nicht mit voller Freiheit behandeln darf; dagegen betrachtet nun der Dichter jeden gegebenen Stoff als sein volles Eigenthum, durch dessen Behandlung er vorzugsweise auf seine Umgebungen und auf seine Nation wirken will. Man hat schon oft den Dichter mit dem Helden verglichen und seine Werke Thaten genannt. Gewiß nicht mit Unrecht; denn jede wahrhaft poetische Schöpfung ist eine geistige That, an der sich die Nation lange Zeit erfreut, bildet und emporhebt, was nur dadurch möglich wird, daß der Dichter in dem Bildungs- und Gesichtskreise seiner Nation selbst lebt. Von einzelnen wissen= schaftlichen Werken läßt sich dies gar nicht sagen, da sie keineswegs reiner Ausfluß eines persönlichen Talents sind, das mit allen Fäden in der Anschauung der Nation wurzelt, sondern den Kreis der Wissenschaft, wie er sich in einem Zeitalter gestaltet hat, weiter führen. Wer die Literatur in wissenschaftlichem Sinne durchgehen will, studiert eigentlich Wissenschaft und Kunst, gewöhnlich innerhalb der Grenzen eines gegebenen Faches, und ist durchaus genöthigt, Kenntnis von Büchern zu nehmen, die weder in seiner Muttersprache geschrieben, noch in seinem Vas terlande verfaßt worden sind. Er will nichts Nationales, ihm und seinem Volke vorzugsweise Angehöriges, sondern geht dem Wissen als solchem nach; er will das Wichtigste, was von allen bedeutenden Männern des Faches gedacht und geschrieben worden ist, nachschlagen und studieren. In neuester Zeit redet und träumt man viel von einer Welt-Literatur, in welcher dann die Individualitäten der einzelnen Völker ganz verwischt seyn würden. In Bezug auf wissenschaftliche Literatur hat dies einen guten Sinn, und wirklich scheint es, als mache sich die Wissenschaft ganz frei von nationalen Ansichten und Persönlichkeiten; in Bezug auf Poesie hingegen und auf die damit verwandten Darstellungen hat es keinen Sinn, da eine Allerweltspoefie den

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