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wußte Formtalent hat an der Ausübung dieses Talentes selbst Freude, sucht sich dadurch wiederholt mit dem Publikum in einen wohlwollenden Verkehr zu sehen, und giebt seiner Dichtung die Gestalt, welche gerade die Zeit fordert, oder deren sie bedarf, um den Dichter zu verstehen. Eine solche Berechnung sieht man den Werken des Talentes oft an; sie sind mehr ein Gemachtes, als ein selbst Gewordenes, immerhin aber, wenn das Gemachte besser und ansprechender erscheint, als das sogenannte Naturwüchsige, bloß durch Zeugungskraft Gewordene. Das höhere Genie folgt dem Drange, dasjenige was schon in seiner Seele völlige Form hat, außer sich zu gestalten und so einer drückenden Last frei zu werden. Ob das so Entstandene dem Publikum munde, darnach fragt es selten, und so begnügt es sich oft damit, daß Form und Ausdruck voll Kraft, Naturwahrheit und ergrei= fender Wirkung sey, unbekümmert, ob es die Forderungen der Schönheit erfülle und auch den feineren Geschmack befriedige. Daher die Erfahrung, daß ein Werk des Genies, wenn es im Augenblick des Schaffens misrathen und von verlehender Wir kung ist, später nicht durch Ueberarbeitung verbessert werden kann, indem Anlage, Ton und Ausführung zu sehr aus einem Gusse sind, als daß spätere Nüchternheit sich an eine. Aenderung wagen dürfte.

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Wir haben wissenschaftliche und poetische Literatur einander gegenübergestellt. In ihrem Ursprunge unterscheiden sich also beide dadurch, daß man zur Wissenschaft durch Denken gelangt, zur Poesie durch Eingebung; in ihrer Aeußerung, daß die Wissenschaft Zusammenhang und Bedeutung der Dinge zu erforschen sucht und daher der gemeinen, sinnlichen Auffassung der Erscheinungen sich entzieht, die Poesie hingegen gerade der äußern, finnlichen Wirkungen sich bemächtigt und sie noch steigert; in ihrem Zwecke, daß die Wissenschaft eine Kenntnis der allge= meinen Geseze innerhalb einer bestimmten Sphäre verschaffen, die Poesie hingegen die Darstellung eines besondern menschlichen

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Zustandes oder einer zusammenhängenden Reihe von Zuständen geben will; in ihrer Form, daß die Wissenschaft dieselbe durch den Stoff erhält und aus gegebenen einfachen Anfängen neue Verbindungen und Erscheinungen entwickelt, die Poesie hingegen ihre Form sich selbst schafft und nur das Geseh der Einheit und der Entfaltung anerkennt; in ihrer Ausdrucksweise, daß die Wissenschaft durch das Wort bloß den Stoff zum Verständnis bringen, die Poesie hingegen auch Gemüth und Einbildungskraft - das innere Ohr und das innere Auge durch die Sprache empfänglich stimmen will; in ihrer Wirkung aufs Leben ends lich, daß die Wissenschaft eine fruchtbare Anwendung des Lebens erleichtert und die Zwecke der menschlichen Gesellschaft fördert, die Poesie hingegen uns durch ihre Bilder das Leben selbst ver, klärt, die Wirklichkeit verschönt und das gesellige Zusammenseyn durch ihre Gaben veredelt. In Bezug auf einzelne Erscheinun gen in Wissenschaft und Poesie Bücher und Dichtungen können wir noch hinzufügen, daß jedes wissenschaftliche Werk immer auf Früheres, schon Bekanntes, zurückweist und über, haupt nur einen neuen Versuch zur Erforschung oder richtigen Darstellung der Wahrheit liefert, daß hingegen jedes Werk wahrs hafter Poesie ein in sich abgeschlossenes ist, indem es nichts wollte, als eine innere Anschauung des Dichters äußerlich durch Sprache gestalten.

Zwischen wissenschaftlicher und poetischer Wirksamkeit steht, literarisch betrachtet, die Wirksamkeit des Charakters, das aus: geprägte Wort einer bestimmten Persönlichkeit. Wenn tie Wissenschaft das Leben und dessen Zustände zu erklären, die Poesie es im Bilde zu gestalten sucht, so kämpft der Charakter für das Leben und sucht Zustände und Ueberzeugungen hervorzurufen oder zu vernichten. Je nachdem die Interessen sind, die er verficht, wird er sich mehr der Wissenschaft oder mehr der Poesie nähern, mehr Form und Hülfsmittel der einen oder der andern benußen. Die größten Charaktere, welche die deutsche Literatur aufzuweisen hat, sind Luther und Lessing. Beide haben auch in Wissenschaft und Poesie etwas geleistet, allein ihre große Bedeutung ruht nicht auf diesen Leistungen, sondern auf dem, was sie durch ihr gewaltiges Wort durchsetzten, auf der Stärke

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ihres Charakters. Die eigentlich hierher gehörige Literatur verschmäht die strenge Form der Wissenschaft und nimmt die Freiheit der Poesie in Anspruch; sie ist aber keine Poesie, da sie weder auf Eingebungen und innern Anschauungen beruht noch auf Darstellung menschlicher Zustände ausgeht, sondern von Ueber zeugungen ihren Ursprung nimmt und durch Auseinanderseßungen wirken will. Eie nimmt nur die Freiheit der Poesie in Anspruch, verzichtet aber auf die innere Nothwendigkeit, welche die Poesie in Bezug auf die einmal gewählte Form anerkennt. In ihrer Ausdrucksweise wählt sie weder den wissenschaftlichen Sprachgebrauch, noch den poetischen; mit lehterem hat sie das gemein, daß sie ebenfalls durch die Sprache das Gemüth zu stimmen und die Einbildungskraft zu beleben sucht; keineswegs aber geht sie dar, auf aus, alles zu vermenschlichen und zu verkörpern. Die eis gentliche Beredsamkeit findet hier ihr wahres Feld, und billig können wir diese Literatur die der Beredsamkeit nennen. Der ursprüngliche Standpunkt, durch den der eigenthümliche Charakter zu wirken sucht, war auch der des Redners. Da Ver hältnisse und Einrichtungen ihm diesen Plaz jeht selten erlauben, so wählt er in neuerer Zeit gewöhnlich das Mittel der Flug. schriften und Tageblätter. Die beredten Auseinanderseßungen, wodurch Luther, Lessing, Möfer, Hamann, Forster, Lichtenberg, Genz, Görres, Arndt und andere bedeus tende Charaktere zu wirken suchten, erschienen ursprünglich in der Form von Flugschriften öder in Lageblättern.

Wie wir hier Wissenschaft, Poesie und Beredsam keit zu einander ordneten, so verhalten sie sich im Begriffe; treten sie verkörpert in der Literatur auf, so finden natürlich mannigfache Berührungen, Uebergänge und Mischungen statt. Dies eben so oft zum Vortheil, als zum Nachtheil der Hauptfache; denn es kann die Wirksamkeit der Poesie und das Verständais der Wissenschaft fördern, wenn der Dichter, der Denker zugleich die Kraft der Beredsamkeit wirken läßt; es kann aber auch die Klarheit des Zusammenhangs und die Anschaulichkeit der Darstellung so darunter leiden, daß Wissenschaft und Poeste ganz durch den Redner verschlungen werden. In den ältester Zeiten jedes Volkes sonderten sich Poesie, Wissenschaft und

Beredsamkeit nicht so, wie bei uns. Die Wissenschaft war Eingebung; die Poesie die Bewahrerin aller Weisheit und aller Kenntnisse; der tüchtige Charakter, der das Volk zu seinen Ueberzeugungen bereden wollte, sprach in Bildern und Gleichnissen. Daher ist in solchen Zeiten die Wissenschaft mystisch, die Poesie überliefernd, und lehrend, die Redekunst allegorisch - symbolisch. Später trennen sie sich mehr oder weniger, jedoch nicht immer in der Art, daß jede Gattung dieser Offenbarung des menschlie chen Geistes ganz unberührt von der andern bliebe. Bei Völ kern, deren Charakter auf scharfem Verstande und großem Ehrgeiz beruht, wird stets auch die Poesie etwas rhetorisches haben, und mehr auf energische Sprache des Gefühls, als auf treue Darstellung menschlicher Zustände ausgehen; bei andern, die sich dadurch auszeichnen, daß sie kein offenes Auge für die Außenwelt haben, sondern sich mehr in sich zurückziehen, wird die Poesie einen wissenschaftlichen, didaktischen Zuschnitt bekommen, so wie umgekehrt ein Volk, das mit offenen Sinnen die Erscheinungen der Außenwelt betrachtet, selbst in die Wissenschaft Poesie bringt, und ihr die Form der Poeffe geben wird. So daß keine Rich. tung von der andern lerne, sollen überhaupt alle drei nie ges trennt seyn; denn eine Poesie, die völlig auf die Culturstufe der Zeit verzichtete, und zugleich sich nie mit Gedanken belasten wollte, wie sie der Charakter erzeugt, fällt sehr unbedeutend aus und wird zum kindischen Geschwäh; ein Charakter, ein Redner, der alle Anmuth der Poesie und Sprache, alle Hülfsmittel und alle Strenge der Wissenschaft verschmähte, wird zum plumpen Gefellen; und eine Wissenschaft, die gar nichts von Beredsamkeit und Poesie, in Bezug auf Vortrag, gelernt hat, steht in gar keiner Verbindung mit dem Leben. Bei gesteigerter Cultur müssen sich Wissenschaft und Poesie, ohne ihre festgesteckten Gren« zen aufzugeben, vielmehr gegenseitig durchdringen, so daß die Poesie von den Schäßen des Wissens in Bezug auf den Stoff Vortheil zieht, die Wissenschaft hingegen von der Poesie die Anmuth der Form und eine klarere Anschauung der Dinge lernt. Hat die Wissenschaft lange genug bloß gesammelt und eine Masse von Thatsachen aufgespeichert, und ist es ihr nun um Auffindung des Zusammenhangs und der Bedeutung aller einzelnen Erschei

nungen zu thun, dann bedarf sie der Eingebung so gut als die Poesie. Will sie die Ergebnisse langer Forschungen aber ins Leben einführen, und die Nation selbst wissenschaftlich höher he ben, dann bedarf sie wieder der Talente so gut als die Poesie; denn sie sucht nun ihre Aufgabe darin, durch lichtvolle Anordnung, faßlichen Ausdruck und gewandten, belebteren Vortrag das Interesse des Lesers ins Spiel zu ziehen, ihm die Erwerbung ernster Kenntnisse leichter und angenehmer zu machen, und auf diese Weise immer mehr Schüler heranzuziehen. So sucht auch eine gebildetere Zeit in dem Dichter wieder den erfahrenen Mann und den tüchtigen Charakter, und von dem literarischen Charakter verlangt sie nicht bloß energisch ausgesprochene Ueberzeugun= gen, sondern auch eine tüchtige Grundlage des Wissens, die Milde und Klarheit der Poesie. Ja, von bestimmten Gattungen fordern wir ausdrücklich, daß der Vertreter derselben in mehren Richtungen des Geistes gleichbegabt sey, nahmentlich vom Ge= schicht schreiber, vom dramatischen Schriftsteller und vom öffentlichen Redner, Denn der ist ein schlechter Geschichtschreiber, der bloß gelehrtes Wissen besitzt und nicht auch poetisches Talent der Darstellung; der darf auf den Nahmen eines großen dramatischen Dichters keinen Anspruch machen, der außer poetis schem Genie nicht auch Charakter zeigt und genaues Studium der Welt und Zeit, die er darstellt; und der würde als Redner keine allgemeine Anerkennung finden, in dem sich nur ein energischer Charakter ausspräche, und nicht auch genaue Kenntnis der Zustände, über die er handelt.

Wenn es nun richtig ist, daß Poesie und Wissenschaft von einander lernen können; richtig ist, daß es Gattungen der Dar stellungen giebt, zu denen die Bedingungen mehrerer Geistesrichtungen gehören, so ist es auf der andern Seite doch unbezweifelt, daß das wirkliche Hineintragen der Poesie in die Wissenschaft oder umgekehrt der Gelehrsamkeit in die Poesie durchaus zum Unheil gereicht und stets von Uncultur oder gar Barbarei zeigt. Misachtet man die Grenzen der verschiedenen Gattungen der Literatur, die doch nach Ursprung, Zweck, Ausdrucksweise und Erfolg sich streng von einander scheiden, so geschieht es wohl, daß der für einen Mann der Wissenschaft gilt, der seine besondern

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