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deren größter Fehler der Mangel an Enthaltsamkeit ist, und die zu keiner Form gelangen, weil sie jeden Einfall da anbringen, wo er ihnen gerade kommt. Humoristische Schriftsteller fallen überhaupt leicht in die Fehler der Formlosigkeit. Der Humor ist eine an sich poetische Anschauung der Dinge; aber da er alle Begränzung haßt und gern in's Schrankenlose schweift: so ents behrt er in der Regel die Faßlichkeit und Leichtigkeit in der Gestaltung seiner Schöpfungen. Wenn das bloße Talent von seiner、 Zeit getragen wird und später bei verminderten Interessen und Zuneigungen leicht in den Hintergrund tritt: so wird dagegen der formlose Poet eigentlich nie populär, genießt nie allgemeine Anerkennung, und kann nur vermöge seiner persönlichen Natur Bewunderung oder gar Liebe erzeugen. Es ist eine Eigenthüm lichkeit der Deutschen, in ihren Dichtern immer eine bedeutende Persönlichkeit zu suchen, und über derselben den Mangel an Form zu vergessen: daher stehen bei uns Schriftsteller in großem Ansehen als Dichter, denen andere Nationen den Nahmen der Dichter geradezu streitig machen würden, weil sie — nicht mit Unrecht das Talent der Gestaltung als erste und wesentlichste Forderung stellen.

Stellen wir das Talent und den poetischen Kopf einander gegenüber, so ist das nicht so zu nehmen: als wenn jenes durchaus der poetischen Gesinnung und dieser des Talentes für Darstellung ganz entbehre; denn in beiden Fällen könnte gar nicht von Poesie die Rede seyn, da Fertigkeit im Gebrauch der Mittel ohne alle Gabe, sich in fremde Zustände zu versehen, so wenig eine dichterische Wirkung machen kann, als eine sogenannte poetische Gesinnung ohne die Gabe der Rede. Der Unterschied zwischen beiden Classen beruht bloß auf dem Uebergewicht des einen der beiden Elemente, die immer vereinigt bei jeder poetis schen Schöpfung wirken müssen. In den eigentlichen poetischen Genies sind nun beide Kräfte in gleichem Maße vereinigt, und diese bilden die dritte Classe der Dichter. Ihnen ist ein lebondiges Gefühl menschlicher Zustände, und eine Kenntnis des Weltgetriebes, so weit dieses durch menschliche Charaktere und Leidenschaften bedingt ist, angeboren, und kraft dieser innern Un schauungen gestaltet und gliedert sich jeder Stoff ihnen von selbst,

bisweilen in neuen, noch nie dagewesenen Formen. Daher ter große Erfolg, den solche Köpfe gleich bei ihrem ersten Auftreten finden, auch dann finden, wenn uns die Anschauungen, die der Dichter hatte, eher Widerwillen und Entschen als Liebe und Neigung einflößen, bloß darum finden, weil Gedanke und Aus: druck, Inhalt und Form so innig verschmelzen, daß wir die Wirklichkeit vor uns sehen. Geben wir uns dem Einflusse des wahrhaften Genies einmal hin: dann wird es durchaus die Stimmung in uns erwecken, die es durch sein Werk beabsichtigte, und so übt es eine Gewalt über uns aus, über die wir uns so wenig Rechenschaft geben können, als der Dichter selbst weiß, woher ihm eigentlich seine Poesie gekommen. Das Erzeugnis des Genies erscheint uns immer als etwas ganz Neues, indem sich stets eine eigenthümliche Anschauung der Welt darin offenbart, eine besondere Färbung der Sprache, und eine geheimnisvolle Gewalt, über unsre Stimmung zu gebieten. Wenn das Talent gern in schon gebrochenen Bahnen bleibt: so bricht sich dagegen das Genie lieber einen eignen Weg, und giebt nicht nur der Poesie cine neue Richtung, sondern oft der Stimmung der Zeitgenossen überhaupt.

Müssen wir nun in solchen Männern den höchsten Grad poetischer Begabung anerkennen: so sind ihre Werke doch keines. wegs immer die wichtigsten oder erfreulichsten in der Masse der poetischen Literatur, und sehen wir auf wohlthätige Wirkung und dauernde Befriedigung, so stehen sie oft tief unter dem bloßen Talent. Wenn dieses lchtre oft eine sehr erfreu iche, für Mit- und Nachwelt wichtige Erscheinung ist: so kann dagegen das größte Genie eine sehr unerfreuliche, für die Entwickelung der Poesie nichtssagende, im schlimmsten Falle schädliche Erscheinung werden. Es kommt außer der praktischen Begabung hierbei auf mancherlei Bedingungen an. Zuerst ist Naturell und Charakter des einzelnen Dichters von großem Gewicht; denn es kann gar wohl begegnen, daß wir die schaffende Kraft des Genies bewundern, die Verdorbenheit des Naturells hingegen bedanern oder verachten müssen. Das wahre poetische Genie blickt immer klarer in die Welterscheinungen als andere Menschen, befäßen diesë auch sonst mehr Gelehrsamkeit, Echarfsinn und Er

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fahrung; und man glaube nicht, daß der wahrhafte Dichter bloß beim Geschäfte der eigentlich poetischen Arbeit heller schaue, er ist überhaupt ein klar und weitsehender Mensch, in gewissem Sinne ein Seher, ein Prophet, aber dies gewöhnlich nur in einem bestimmten, beschränken Kreise. Vermöge seiner Persönlichkeit wird der einzelne Dichter doch nur diejenige Seite der Welterscheinungen lebendig anschauen und widerspiegeln, die seinem Naturell gemäß ist, und so finden wir denn, daß der eine seinen Blick richtet auf die freie, heldenmäßige Thätigkeit des Menschen, der andere auf das Walten der blinden Naturkraft, der dritte auf das Thierische und Unedle im Menschen. umfassender Genius wäre der, welcher die mannigfaltigsten, verschiedensten Erscheinungen der innern und äußern Menschenwelt in sich aufnähme, und in seinen Dichtungen so wiedergäbe, daß auf die eine so viel Licht als auf die andere fiele, und ein so umfassender Genius war Göthe, der eben deshalb viele nicht befriedigt, weil sie eine vielseitigere Weltanschauung bei ihm finden, als sie verlangen. Die meisten andern großen Dichter erfassen gewöhnlich nur die Seiten des Menschenlebens, welche ihrer Persönlichkeit zusagen und ihrer poetischen Sehergabe daher auch offen vorliegen: der eine also das Erhabene und Große der Kräfte, wodurch das menschliche Geschick und der Gang der Welt bestimmt wird; der andere das Heitere und Milde des Lebens und der Natur; der dritte das Unheimliche, Tückische, Niedrige in den Erscheinungen der Natur und im Innern des Menschen. Jeder von diesen Dichtern giebt uns ein Bild der Menschheit, aber von ganz verschiedenem Gesichtspunkte. Schaut nun ein Dichter besonders das Peinliche in den menschlichen Zuständen; erfaßt er im Menschen mehr das blinden Naturkräften unterworfene Geschöpf als den strebenden Geist: so wird auch die Stimmung, in die er uns verseht, eine peinliche, unheimliche feyn, desto peinlicher, je größer sein Genie ist, je unmittelbarer also seine Darstellung auf uns wirkt. Als Vertreter jener drei verschiedenen einseitigen Weltanschauungen können wir Schiller, Hebel und Hoffmann nennen; an rein poetischem Genie steht gewiß Hoffmann unter ihnen am höchsten; denn lebens diger hat kein Dichter das, was er darstellt, innerlich geschaut,

lebendiger und ergreifender keiner es dargestellt. Wer möchte aber behaupten, daß Hoffmann cine bedeutendere Erscheinung in der poetischen Literatur wäre, als Schiller, oder daß seine Dichtungen mehr Werth hätten, als Schillers? Abgeschen davon, daß Schiller überhaupt eine edle, große Natur war, worauf Hoffmann keinen Anspruch machen darf: so ist denn doch die Welt, deren Spiegel Schillers spätere Dichtungen sind, eine unendlich schönere, bedeutungsvollere, als der Standpunkt, der die meisten Dichtungen Hoffmanns beherrscht. Wir können gerade von dem großen Dichter verlangen, daß er uns durch seine Poesie erhebe und veredle, wenigstens die Lichtpunkte ter wirklichen Welt uns im Bilde anschauen lasse, und so kann dann die Bedeutung des poetischen Genics nicht nach seiner poetischen Begabung allein angeschlagen werden; wir fragen vielmehr auch darnach, ob es den Charakter der reinen, unverfälschten menschlichen Natur an sich trage.

Ueberhaupt stellen wir an das Genie die Forderung, daß es sich nicht damit begnüge, als Genie geboren zu seyn; es soll den Reichthum seiner innern Anschauungen reinigen und ver= klären, und da wir in einer Welt leben, worin natürliche menschliche Verhältnisse in tausendfacher Verschlingung mit örtlichen Zufälligkeiten und zeitlichen Entwickelungen liegen, so ist gerade dem größern Dichter eine genaue und fleißige Beobachtung derjenigen Verhältnisse nöthig, die er nicht vermöge poetischer Eingebung erfassen kann; sie ist ihm nöthig, damit er nicht da als ein Unerfahrener zu uns rede, wo wir an der Weisheit des Mannes uns erheben wollen. Das rohe, unerfahrene oder ungebildete Genie wird uns durch die Unmittelbarkeit, in vielen Fällen auch durch die Naturwahrheit seiner Darstellungen allerdings eben so erschüttern als das gebildete, durch Leben und Erfahrung veredelte; allein es wird immer die Gränze des Schönen und Erlaubten überschreiten, und während es unsere Einbildungskraft ganz hinreißt, verleht es unser menschliches Gefühl, oder beleidigt unser vernünftiges Urtheil. Das ungebildete Genie wirkt daher auf solche Menschen gewaltig, die selbst noch nicht durch das Leben gebildet sind, also auf die Jugend und die große Masse; der gereiftere Mann wendet sich von diesen zu gewal

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tigen Wirkungen lieber ab, und flüchtet sich zu den mildern, ruhigeren Schöpfungen des gereifteren Dichters. So wie das bloße Talent, wenn es der überlieferten Bildung seiner Zeit ganz entbehrt -die sogenannten Naturdichter gehören stets hierher leicht zur Plattheit herabsinkt: so wird das bloße Genie, wenn es nicht durchs Leben geläutert ist, leicht frech und niedrig. Eine feinerc, ausgebildete Literatur-Epoche stößt daher beide gern von sich aus, da sie in der That nur Rückschritte auf der von an dern gebrochenen Bahn andeuten; indeß können beide, ohne selbst je Muster zu seyn, doch Veranlassung werden zu neuen Fortschritten, ja in einer überbildeten Zeit sogar erfrischend und wohlthätig wirken. Schillers Räuber mögen hier als Beispiel dienen. Sie waren das Werk eines noch sehr rohen Genie's, in mancher Hinsicht frech und verlegend; sie waren ein Rückschritt auf der von Lessing und Göthe gebrochenen, dramatischen Bahn, gaben aber Anlaß zu neuen Fortschritten, und werden, ohne je als Muster zu gelten, immer ein äußerst merkwürdiger Beleg des gewaltigsten poetischen Genius seyn.

Und so haben wir denn überall zu unterscheiden zwischen der Größe eines dichterischen Genies und der Bedeutung seiner einzelnen Werke; denn die Zeugungskraft des Poeten und das wirklich Erzeugte stehen nicht immer in dem Verhältnisse, daß eines als Maß des andern gelten müßte; vielmehr steht die Schönheit des Hervorgebrachten oft hoch über oder tief unter der Kraft, die wir dem Schöpfer desselben zuschreiben dürfen. Der Freund der Poesie fragt nun eigentlich nie darnach, was ein Dichter hätte leisten können, sondern nach dem, was er geleistet hat, und da bisweilen die bedeutendsten Kräfte kaum ein einziges befriedigendes Werk geliefert haben: so können sie sich nicht beklagen, wenn sie, troh ihrer gewaltigen Naturanlage, über geringern Talenten vergessen werden, die sich durch wohlgerathene Geisteskinder bemerkbar machten. Man sehe die größte Naturanlage, durch Leben und Erfahrung geläutert, mit Adel der Gesinnung und mit Fleiß verbunden: zum Gelingen des einzelnen Werkes muß noch die Gunst der Umstände kommen, so wie die glückliche Stimmung des Dichters, die eben oft von jener Gunst abhängt. Das bloße, seiner Kunstfertigkeit sich bes

Göhinger Lit.

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