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bestimmter Kreise, ohne in die Masse der Gebildeten einzudringen. Schon in dieser Beziehung ist das Erwachen der Prosa eine weit wichtigere Erscheinung in dem Gange der Literatur als die vers änderte Richtung der Poesie, da erst durch Wiederauffrischung der Sprache des Verständnisses eine Vermittelung zwischen der Wissenschaft und dem Leben der Nation möglich war.

Daß die deutsche Sprache aufgehört hatte, Werkzeug des Verständnisses zwischen höher begabten Naturen und der Nation zu seyn, bewies der große Leibnitz (1646-1716), der seine wichtigsten Schriften in französischer Sprache abfaßte. Leibnih war Gelehrter und Weltmann, er war aber auch Patriot, und so fühlte er selbst das unwürdige Verhältnis, worin der deutsche Denker zu deutscher Zunge stand. In seinen unvorgreiflichen Gedanken über Verbesserung der deutschen Sprache klagte er die strafbare Vernachlässigung der Muttersprache und die ungebührliche Hervorhebung des Französischen in den gebildeten Zirkeln kräftig an, legt jedoch sehr falsche Ansichten von dem Charakter des Deutschen an den Tag, und zugleich, wie alle Zeitgenossen, eine auffallende Unwissenheit über die Geschichte desselben, die nicht über die Kenntnis der Reformationsschriften hinausgieng.

Der berühmte Rechtslehrer, Christian Thomasius (1655-1728), ließ es nicht bei Klagen bewenden, sondern brauchte zuerst die deutsche Sprache als Form wissenschaftlicher Untersuchung, ja er wandte sie sogar bei akademischen Vorträgen an, eine Neuerung, die ungeheures Aufsehen erregte. So wie dieser Mann sein ganzes Leben lang eine Menge herkömmlicher Albernheiten und Erbärmlichkeiten bekämpfte, so zog er auch unermüdet gegen den schlechten Unterricht und den Gebrauch des Schullateins zu Felde, und obgleich er selbst kein besonderer deutscher Schriftsteller und für uns ungenießbar ist, so muß die Geschichte der Literatur ihn dankbar immer als denjenigen erken= nen, welcher die deutsche Sprache für die Wissenschaft eroberte. Er, wie alle große Reformatoren, fand es durchaus nöthig, von dem hochmüthigen Dogmatismus der Zunftgelehrten an den ges funden Menschenverstand des Volkes sich zu berufen und Leute in das Intereffe zu ziehen, die der gelehrten Innung nicht angehörten. Sein jüngerer Zeitgenosse, Christian Wolf (1674 bis

1754) brachte die philosophischen Ideen Leibnizes in ein System und stellte dieses in deutscher Sprache dar. Der Umstand, daß diese Sprache so sehr trocken und nüchtern war, bewirkte auch die große Nüchternheit vieler Dichter, die größtentheils Bekenner der Leibniz-Wolfischen Philosophie waren.

Mit dem aufklärenden Thomasius vereinigten sich die Pietis ften aus Speners Schule. Diese an sich auffallende Erscheinung ist erklärlich, sobald man bedenkt, daß beide Partheien, die neuen Philosophen wie die Pietisten, denselben Feind zu bekämpfen hatten: die herkömmliche Orthodoxie und den Mangel aller Wirkung auf das Volk. Spener und Skriver hatten den Weg gebahnt, ihnen folgten Arnold, Hermann Franke, Freilinghausen u. a. So wenig Werth sowohl die Poesie als die Prosa der meisten hat, so großen Einfluß hatten sie doch dadurch auf beides, daß sie auf die Schrift und auf Luther hinwiesen. Unter dem Einflusse der Wolfischen Philosophie und durch das neuerwachte Bibelstudium erstand sehr bald eine ganz neue Art von Kanzelberedsamkeit, und schon vor 1740 treten Männer auf wie Rambach, Reinbeck und Mosheim.

Nicht nur in Philosophie und Theologie erwachte aber die Kritik, sondern auch in der Poesie. Schon im Anfange des Jahrhunderts kamen Zeitschriften auf, worin moralisch-religiöse oder philosophische Gegenstände besprochen, nebenbei aber auch die Erzeugnisse der Literatur gewürdigt wurden. Da man in dem mittleren Stande erst eine wärmere Theilnahme wecken mußte, so war es kein Wunder, daß man sich an eine nüchterne Schulmeistersprache gewöhnte, und indem man von der frühern Aufgedunsenheit überall zu größerer Einfachheit und Klarheit hinstrebte, gerieth man freilich auf das andere Aeußerste und ward höchst prosaisch und wässerig, und so geschah es, daß ein Mann wie Gottsched lange Zeit den Dictator des deutschen Geschmackes spielen durfte.

Joh. Christoph Gottsched (1700-1766) war i. I. 1721, um den Rekrutenaushebungen Friedrich Wilhelms I. zu entgehen, nach Leipzig gekommen, und bemühete sich mit dem angestrengtesten Eifer, deutsche Sprache und Literatur in allen Provinzen und unter allen Ständen zu verbreiten. Er ist später

als ein Muster des Ungeschmacks in Verruf gekommen, und darüber hat man die Verdienste vergessen, die er unleugbar sich erwarb. Er war ein Apostel der deutschen Sprache; sein großer Fehler bestand darin, daß er mehr als dies, daß er Begründer einer neuen Literatur sein wollte, und nicht aufhörte zu reden, als seine Zeit längst vorüber war.

Als Gottsched in Leipzig auftrat, war unter den höhern Ständen, nahmentlich in Sachsen, französische Sprache und Literatur allgemein herrschend. Deutsche Prosa, die als Geistesnahrung für Männer nach Juhalt und Form gelten könnte, gab es gar nicht; die poetischen Bestrebungen in Lyrik und Didaktik waren nicht geeignet, mit ausländischen Poesten einen Wettkampf einzugehen, und auf dem Theater herrschten Uebersetzungen und Bearbeitungen italienischer Possen oder rohe Machwerke einhei mischen Ursprungs. Gottsched eiferte nun in Vorlesungen und Schriften für Reinheit der deutschen Sprache und für Aufnahme derselben unter den höhern Ständen, er knüpfte Verbindungen in allen Provinzen Deutschlands ́an, erweckte Neigung für einheimische Literatur, gründete Zeitschriften für Kritik der erschie= nenen Leistungen, ermunterte junge Talente zu frischen Erzeugnissen und gieng mit eigenen Gedichten voran. Er trieb es ungefähr wie Opih, jedoch ohne dessen höhere Bildung und rhetorische Kraft zu besizen, und mit weit mehr Anmaßlichkeit als dieser. Auf Opih wies er auch wieder zurück; ja er machte auf die voropizischen Dichter wieder ernstlich aufmerksam, auf den Reineke Fuchs, auf Rollenhagen und Ringwaldt, wie denn überhaupt seine geschichtlichen Untersuchungen über deutsche Literatur sehr verdienstlich waren. Gegen den Schwulst Lohensteins und die Wiheleien Hoffmannswaldau's zog er muthig zu Felde, so wie gegen alles Frivole und Unzüchtige. Aber leider sah er alles für Schwulst, Wihelei, Frivolität und Ungebührlichkeit an, was über die Grenzen der plattesten Nüchternheit hinausgieng, und vielleicht waren es gerade Lohensteins beste Seiten, die er am meisten haßte. Correktheit und Natürlichkeit galten ihm über alles, beide Begriffe sezte er aber in einer Art fest, daß damit gar keine Poeste bestehen könnte. Die poetische Sprache sollte von der Prosa gar nicht abweichen, als durch Vers und Reim,

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und selbst der Vers mußte seinem Geschmack nach so eingerichtet seyn, daß mit jeder Zeile ein Sah schlöße und kein Uebertritt statt fände. Wortversehungen, kühnere Bilder, mahlerische Sprache alles dies waren in seinem Gesehbuche unerlaubte Dinge, deren sich der Poet zu enthalten habe. Selbst Brockes doch oft sehr nüchterne Gedichte nahmen ihm einen viel zu hohen Schwung und waren bei den freien Abwechslungen fürzerer und längerer Zeilen nicht correkt; Gottsched spricht daher in seiner „kritischen Dichtkunst“ _von_kiesem Dichter entweder gar nicht, oder sehr wegwerfend.

Endlich wandte er seinen Blick auf das Theater. Die unregelmäßigen Possen, in denen Hanswurst mit seinen Späßen die Hauptwürze waren, ärgerten ihn; er beredete die Vorsteherin der Leipziger Truppe, Johanne Neuber, Stücke von Gryphius aufzuführen, und als dies gelang, so ging man an die Bearbeitung französischer, regelmäßiger Dramen. Er selbst lieferte seinen sterbenden Cato und später noch andre, so wie seine Gattin und mehrere Schüler ihm in dramatischen Hervorbringungen beistehen mußten. Hatte nun Gottsched überhaupt weder eine poetische Weltanschauung, noch poetischen Geschmack: so mußte dies bei der schwierigsten aller poetischen Gattungen, beim Trauerspiele, am kläglichsten zu Tag kommen. Folgenreich für die ganze künftige Zeit war es, daß er die Neuberin beredete, den Hanswurst ganz abzuschaffen. Dieser wurde i. J. 1737 auf dem Theater zu Leipzig feierlich im Bilde verbrannt, und so war der lehte Vertreter deutscher Volkspoeste verschwunden, und es schien, daß eine gelehrte, starre Correktheit und Nüchternheit von nun an die Literatur beherrschen müsse.

Drittes Buch.

Die neuere deutsche Literatur.

Die Zeit Klopstocks und Leffings.

S. 69.

Charakter der neuern Literatur.

Wenn bei Dentschen von ihrer Literatur die Rede ist, so geht die Bekanntschaft mit derselben fast nie über die Nahmen Gellert und Klopstock hinaus, ja den meisten ist Göthe der älteste Dichter, den sie kennen. Diese Thatsache hat etwas Auffallendes, einmal weil die Poesie der Gellert'schen Zeit, wenn wir Klopstock's Neuerungen abrechnen, kein neues Gewand anzog; dann weil die ersten Dichter der neuen Periode keineswegs so ausgezeichnete Geister waren, daß sie ihre Vorgänger in jeder Hinsicht überstrahlt hätten. Welchem gebildeten Deutschen wäre der Nahme Gleim völlig unbekannt? Wie viele aber haben von einem Günther, Weise, Hoffmannswaldau nie etwas gehört? Und wie wenige würden von Paul Gerhard etwas wissen, wenn nicht Gesangbuch und Kirche diese Nahmen immer neu auffrischten? Jeder Unbefangene muß aber eingestehen, daß Günther, Weise, Hoffmannswaldau beffere Dichter waren als Gleim; daß Paul Gerhard, abgesehen von dem: Dienste,

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