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barbarischer Zusammenziehungen, Abkürzungen und Auseinan= derzerrungen erlauben. Ihre Poesie ist die Geburt tüchtigen Menschenverstandes, und zeigt, was dieser vermag im Bunde mit scharfer Beobachtung der Zeit oder mit starker Empfindung innerer Zustände. Sie ist eine Poesie des Tages, und hat für uns nur insofern Werth, als uns jene Tage selbst wichtig sind. Den Pocten galt der Inhalt und dessen Anwendung als das Höchste, so daß ein didaktischer Realismus entstand; die poe= tische Behandlung sehen sie in die gebundene und gereimte Rede; aller Gehalt geht vom Subjekt aus, da kein schönes Muster der Form vorschwebt und Zeit und Umgebung den Her vorbringenden nicht unterstüßt; die Dichtungen sind incorrekt in höchstem Grade und entbehren, in völligem Gegensah zur künstlichen hohenstaufischen Dichtung, der eigentlichen poetischen Zier; wo diese eintritt, wie bei manchen geistlichen Liedern (z. B. Philipp Nicolai's „Wie schön leuchtet der Morgenstern!“) und in den Meistergefängen, wird sie leicht abgeschmackt, platt, und erscheint am unrechten Orte. Die Quelle aller eigentlichen ächten Dichtung, die Einbildungskraft, scheint bei diesem Ge= schlechte versiegt zu seyn, die Erfindungsgabe ist gering, das Pathos ist fast unbekannt und tritt nur im Kirchenliede bisweilen hervor; im Trauerspiele hingegen, wo es doch ein wesentliches Element ist, fehlt es gänzlich, weshalb auch die dramatische Form, so vielfältig sie bearbeitet wurde und so sehr die Zeit sie liebte, die misrathenste ist. Dagegen finden wir bei aller Breite und Unbeholfenheit etwas Frisches, Stärkendes, Behagliches; wir fühlen, daß es diesen Poeten sehr Ernst ist, und daß ihre Poesie im Herzen oder im Kopfe wirklich lebt, was selbst von dem lustigen und possenhaften Fischart gilt, dagegen nicht von der Unzahl der Comödienschreiber.

Abgesehen von dem Werthe dieser Dichter als Vertreter einer für uns wichtigen Zeit, müssen sie uns auch achtbar seyn als Erhalter und Pfleger der Muttersprache; denn ohne diese Liederdichter, ohne diese Fabulisten und Didaktiker möchte es schlimm gestanden haben um die Förderung derselben. Luther und seine Zeitgenossen wollten die deutsche Sprache überhaupt für die Sprache nationaler Mittheilung festseßen; es gelang ihnen

nicht, und die so schön hervorbrechende Prosa zerfiel bald wieder; aber der Religion hatte Luther die Muttersprache für immer erobert; das protestantische Kirchenlied und alle Dichtung, welche damit zusammenhieng, mußte deutsch bleiben. Luther betrauerte tiff den Verfall Deutschlands in aller humanen Bildung; und in seinem Sendschreiben an die Rathsherren und Städte Deutschlands: daß sie christliche schulen aufrichten und halten sollen (1524), spricht er darüber herrliche, inhaltschwere Worte *); mit Verwunderung sehen wir hier dieselbe Ansicht von Poesie und Literatur, die Herder mehrere Jahrhunderte später aufstellte. Luther wünscht, daß seine Deutschen auch feine Leute würden wie tie Römer und Griechen, und betrachtet das Lesen der Dichter und Geschichtschreiber als Haupthilfsmittel, um zu dieser feinen Bildung zu gelangen. Zu feinen Leuten haben die Poeten des sechszehnten Jahrhunderts die Deutschen freilich nicht gemacht;

*) „Es fehlt allein daran, daß man nicht luft noch ernst dazu hat, das „junge Volk zu ziehen, noch der welt helfen und rathen mit feinen „leuten. Der teufel hat viel lieber grobe blöche und unnüße leut', „daß den menschen ja nicht zu wohl gehe auf erden."

„Wir sind leider lang genug in finsternis verfaulet und verdor„ben. Wir find allzulange genug deutsche beftien gewesen; last uns „einmal auch der vernunft brauchen, daß Gott merke die dankbarkeit „feiner güter, und ander lande sehen, daß wir auch menschen und „leute find, die etwas nüßliches entweder von ihn lernen oder fie „lehren könnten, damit auch durch uns die welt gebessert werde. „Ich habe das meinige gethan. Ich wollt ja deutschem lande gerne „geraten und geholfen haben, ob mich gleich etlich darüber verachten „und solchen treuen rath in wind schlagen und beffers wissen wöllen, „das muß ich geschehen lassen 2.“

„Wenn ich Kinder hätte und vermöcht's, sie müßten mir nicht ,,alleine die sprachen und historien hören, fondern auch fingen und ,,die musica mit der ganzen mathematica lernen. Denn was ist das „alles denn eitel kinderspiel, darinnen die Griechen ihre kinder vor „zeiten zogen, dadurch doch wundergeschickte Leut aus worden, zu „allerlei hernach tüchtig. Ja wie leid ist mirs ißt, daß ich nicht „mehr Poeten und historien gelesen habe und mich auch dieselben ,,niemand gelernt hat. Habe dafür müßt lesen des teufels Dreck, „die Philosophos und Sophiften, mit großer koft, arbeit und schaden, „daß ich gnug habe dran auszufegen.“

aber wenigstens hatten sie das Verdienst, daß der geringe Stock nationaler Bildung nicht ganz untergieng und doch einiger Halt da war, um sich geistig zu erfreuen und nicht entweder in innere Rohheit oder gelehrte Verschrobenheit und theologische Grübeleien zu verfallen. Diese deutschredenden Poeten standen ganz einsam da; auf der einen Seite hatten sie gegen die ziemlich plumpe Volksliteratur, auf der andern gegen tie vornehm herabblickende lateinische Poesie zu kämpfen, überdies sich der gelehrten VerDumpfung zu erwehren, die gegen Ende des Jahrhunderts auf Deutschland drückte. Auch hatten sie keinen Zusammenhang unter sich; jeder stand für sich da und dichtete für sich; höchstens kann man in Bezug auf das Kirchenlied von einer Schule reden, und auch hier nur eine Zeitlang. Wären alle diese Hemmnisse nicht gewesen, so hätte sich nothwendig eine schönere Blüte entfalten müssen; allein da jeder Mittelpunkt fehlte, um den sich die neuerfrischte Literatur hätte sammeln können, so verkümmerte alles bald wieder. Aufmunterung fand gar keine statt; der Mehrzahl der Fürsten und des Adels läßt sich in dieser Beziehung derselbe Vorwurf machen, den Luther ihnen macht, wo er von Errichtung der Schulen und Beförderung der Bildung spricht: »Der gemein mann thut hier nichts zu, kanns auch nicht, wills „auch nicht, weiß auch nicht. Fürsten und herren solltens thun; „aber sie haben aufm Schlitten zu fahren, zu trinken und in »der mummerei zu laufen, und sind beladen mit merklichen ges »scheften des kellers, der küchen und der kammer. Und obs „etliche gern thäten, müssen sie die andern scheuen, das sie nicht „für narren oder keher gehalten werden.«

Uebrigens sehen wir an den Hervorbringungen dieses Jahr, hunderts recht deutlich, welche Verwirrung entsteht, sobald die Grenzen zwischen Wissenschaft und Poesie verkannt und beide Gattungen verwechselt oder vermischt werden. Die Poesie wollte durchaus so wirken, wie nur die Wissenschaft wirken soll; sie wollte nehmlich Kenntnisse verbreiten oder unmittelbar bessern; eine poetische Ansicht der Dinge wurde weder gefordert noch erstrebt. Dafür betrachteten nun die Philosophen die Welt poe. tisch, und wenn wir bloß auf Gesinnung und Ansicht merken, so wären die größten Dichter der Zeit der bekannte Theophrast u s

von Hohenheim und Jakob Böhme, von denen der erste zu Anfange des Jahrhunderts (1493-1541), der andere zu Anfang des siebzehnten (1575-1624) lebte. Zu dieser Umkeh rung aller natürlichen Verhältnisse trug der Umstand wesentlich bei, daß alle Bildung auf lateinische Schulen und Universitäten beschränkt war, auf denen Rohheit, Gemeinheit und barbarische Gelehrsamkeit eher befördert wurden, als daß sie Pflanzstätten eines wahrhaft geistigen Lebens gewesen wären.

III.

Opiß und sein Jahrhundert.

S. 47.

Die fruchtbringende Gesellschaft.

Im Jahre 1617, also ein Jahrhundert nach Luthers Auftreten, wurde auf dem Schlosse zu Weimar der sogenannte Palmenorden oder die fruchtbringende Gesellschaft gestiftet. Die Herzogin von Weimar, Dorothea Maria, eine geborene Prinzessin von Anhalt, war gestorben; bei ihrem Begräbnis waren der fürstlichen und edeln Herren viele anwesend, unter ihnen der Verstorbenen Bruder, Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Dieser hatte nach damaliger Sitte weite Reisen gemacht, hatte Italien gesehen und sich mit dessen Literatur bekannt ge= macht; das Gespräch fiel auf diesen Punkt und auf die deutsche Sprache. Man erkannte die Kraft und den Wortreichthum derselben; aber man beklagte auch ihre Verderbnis durch Einmischung fremder Ausdrücke, und glaubte, diesem lebel könne am besten abgeholfen werden, wenn man nach italienischer Sitte eigene Akademieenstifte, die auf Reinheit der Sprache, Begünstigung deutscher Schriftsteller und Veredelung der Sitten ihr Augenmerk richteten. Kaspar von Teutleben, Hofmeister der Weima= rischen Prinzen, schlug sogleich die Einrichtung einer solchen Gesellschaft vor, und sein Vorschlag fand Beifall; Fürst Ludwig

ward das erste Oberhaupt des Bundes und der Sitz der Ver= sammlungen nach Köthen verlegt. Reinigkeit der Sprache, Veredlung der Sitten, Ablegung der Ranggesehe in den Bersammlungen und Zuschriften waren die drei Grundgesehe. Nach dem Muster welscher Akademieen nahm jedes Mitglied einen Beinahmen an, unter welchen allein er in der Akademie galt, und diese scheinbar lächerliche Sitte trug jedenfalls mit bei, allen Zwang zwischen Fürsten und bloßen Gelehrten zu verbannen und der äußern Verhältnisse zu vergessen.

Ueber den Nuzen, den diese Gesellschaft gebracht habe, ist vielfach gestritten worden, so daß man ihr jede Wirkung bis weilen abgesprochen hat. Abgesehen von ihrem Nuhen, war die Verbindung an sich erfreulich; wir sehen, daß Fürsten und Adel endlich aufmerksam darauf werden, wie sehr das deutsche Wesen und Leben durch Eindrängen fremder Sitten und Sprachen einen tödtlichen Stoß empfangen hatte. Bedeutend ist es, daß der Bund gerade ein Jahr vor dem Ausbruche des dreißigjährigen Krieges gestiftet wurde, durch welchen fremde Elemente immer mehr eindrangen. Wie tief wackere Patrioten dieses Uebel schon seit Jahrhunderten betrauerten, darauf habe ich schon mehrmals aufmerksam gemacht; daß ein solches Verhältnis deutscher und fremder Elemente innerhalb Deutschlands einsichtsvollen Männern immer unerträglicher wurde, dafür mag eine Stelle aus Philanders von Sittewald (Moscherosch) Gesichten sprechen *). "Es wird eine Zeit kommen, weil alle Ding vergänglich sind, wan das Teutsche Reich soll zu grunde gehen: so werden Burger gegen Burger, Brüder gegen Brüder im Felde streiten und sich ermorden, und werden ihre Herzen an fremde Dinge hängen, ihre Muttersprache verachten und der Welschen gewäsch höher halten, wider ihr eigen Vaterland und Gewissen dienen, und alsdann wird das Reich, das mächtigst Reich, zu grunde gehen, und unter deren Hände kommen, mit welcher Sprach sie sich gefühelt haben, wo Gott nicht einen Helden erwecket, der der Sprach wieder ihre maß sehe, sie durch gelehrte Leut aufbringe

* Im ersten Geficht des zweiten Bandes, mit dem Titel: A la mode Kehrauß.

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